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DasWAR“S: Prominente und Nettonutznießer

Wie Peter Könnicke neue Identifikationsfiguren fand

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Mein Sohn ist neuerdings Lukas Podolski. Er reagiert nur, wenn ich ihn mit dem Namen unseres Nationalstürmers anspreche. Die anderen Jungs an seiner Schule heißen Kevin wie Kuranyi oder Michael wie Ballack. Meine Frau und ich haben uns etwas Sorgen gemacht, ob das womöglich zu einer gespaltenen Persönlichkeit führen kann. Doch glaube ich das nicht. Schließlich war ich früher auch Joachim Streich vom 1. FC Magdeburg. Und Gojko Mitic war ich auch mal.

Ich denke sogar, dass es eine gute Übung sein kann, sich in der Rolle eines anderen zu versetzen, um Journalist zu werden. Man kann Dinge viel besser beschreiben, je leichter es fällt, sich in die Situation eines anderen zu begeben. Vor Jahren bin ich für eine Baustellenreportage mal auf einen Kran geklettert. Seitdem weiß ich, dass Kranfahrer schwindelfreie und einsame Mitmenschen sind, deren Kommunikationsfähigkeit arg eingeschränkt ist. „Nischt anfassen“, waren zwei von drei Worten, die der Kranfahrer während meines halbstündigen Besuchs von sich gab. Das dritte war „Nö!“ auf meine Frage, ob ihm hier oben schon mal übergeben musste. Wenn ich jetzt von Kranführern lese, weiß ich von wem die Rede ist.

Neulich habe ich gelesen, dass der Papst Basecaps von Nike trägt. Das macht die Identifikation mit Benedict gleich leichter, wenn man in die Situation kommt, über den Papst schreiben zu müssen. Man hängt sich ein Satin-Bettlaken um, setzt ein Basecap auf – und ist Papst. Es ist offenbar viel leichter, sich als Prominenter zu fühlen als man denkt. Wie oft liest man dagegen pauschal von Bürgern, Einwohnern, Kunden oder Verbrauchern und weiß nicht, wer konkret gemeint ist und ob man sich selbst angesprochen fühlen soll.

Am Donnerstag war ich zu einem Termin im Kleinmachnower Rathaus eingeladen, bei dem es um ein Projekt ging, das von der Europäischen Union bezahlt wurde. Insgesamt ging es um 2,5 Millionen Euro, Brandenburg bekam davon 120000 Euro und davon wurden 1700 Euro für eine Internetseite ausgegeben, auf der besondere Architektur-Beispiele in Kleinmachnow gezeigt werden. Schließlich waren noch ein paar Euro übrig, mit denen belegte Brötchen bezahlt wurden, die es während der Pressekonferenz gab. Als ich zulangte, erklärte man mir, dass ich soeben zum „Nettonutznießer der EU-Politik“ geworden bin. Das hat meine Identifikationsfähigkeit enorm erweitert. Es ist hilfreich zu wissen, dass EU-Politik nach Schinkenwurst schmeckt.

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