KulTOUR: Pünktchen – Pünktchen – Fliegendreck
Vortrag über Restaurierung des Hagemeister-Bildes „Die große Welle“
Stand:
Werder (Havel) - Bislang glaubte man ja noch immer, Restauration sei die möglichst originale Wiederherstellung eines Bildes. Ausgerechnet in Werders neuer Stadtgalerie wurde man jüngst eines Besseren belehrt, und ausgerechnet war es ein Klassiker, dem eine andere Art der Verjüngung geschah. Nachdem der zweite Teil der Ausstellung „1. Bestandsaufnahme“ im „Kunst-Geschoss“ gehängt und eingeweiht war – die neue Raumgliederung steht Kunst-Werk und Galerie gut zu Gesicht – gab es auch die allererste Veranstaltung unter dem Dach.
Wie man hörte, beeilte sich sogar die Versammlung der Stadtverordneten, um den Vortrag der Potsdamer Restauratorin Katharina Kardorf nicht zu verpassen. Vor dem 1914 auf Rügen entstandenen Bild „Die große Welle“ sprach sie über die Restaurierung dieses Karl-Hagemeister-Werkes. Könnte man die Geschichte einzelner Bilder schreiben, so gehörte diese dazu: Lange hing das großformatige Ölbild ganz unbeachtet im Rathaus. Viermal wurde eingebrochen, „unsere große Welle“, wie Bürgermeister Werner Große sich ausdrückte, blieb unangetastet. Da waren wohl Banausen am Werk.
Anfang der Neunziger wurde es „wiederentdeckt“ und kam bei der MBS in „Sicherheitsverwahrung“. Sie übernahm dann auch die Hälfte der Renovierungskosten, den Rest zahlte Werder. „Wir haben noch viele Bilder im Keller!“, uzte das Stadtoberhaupt.
Als Katharina Kardorf es begutachtete, war es in einem sehr schlechten Zustand. Der Rahmen desolat, die teils noch originalen Spann-Nägel verröstet, ungewollte „Wellenbildungen“ auf dem Bildträger, Verwerfungen im pastosen Bereich, Spannkantenrisse und Druckbeulen, vor allem viel Schmutz. Fliegendreck im besonderen. Die Restauratorin weiß, dass diese Viecher das Ihre besonders gern auf ungefirnissten Bildern hinterlassen. Vielleicht verstehen sie mehr von der Kunst, als Einbrecher. Alles war zu sichern, dann Schritt um Schritt zu restaurieren, was sich besonders bei Hagemeisters Himmel über der Welle als schwierig erwies. Werders Ehrenbürger ein echter Freiluftmaler, er grundierte nur schwach, machte alles so, dass es leicht und gut getragen werden konnte, kurz, der Himmel litt sehr an Abrieb. Dass sie mit Pinzette und Stirnlupe jedes einzelne Fliegenhäufchen Punkt um Punkt abtragen musste, ist aller Ehren wert.
Die künstlerische Seite der Restauration (achtzig Arbeitsstunden) erstaunte viele Besucher: Das „moderne“ Berufsethos dieser Sparte verlangt, ein Bild nach der Optik zu rekonstruieren, nicht in der Substanz, man wisse ja nie, wie der „Zeitgeist in fünfzig Jahren“ sein wird – notfalls müsse eine Restauration auch rückgängig gemacht werden können. Guachefarben also statt Öl, diverse Kreiden und Leim, um pastose Auftragungen zu ergänzen, der Eindruck soll stimmen.
In der „Großen Welle“ ist also weniger Hagemeister drin als erwartet. „Schummel“ sei das nicht, sagte sie, vielmehr „Philosophie“ des Berufsstandes. Ohnehin trete der Restaurator voll Ehrfurcht in die zweite Reihe zurück, „wir sind nur Techniker“. Das Malen mache nur fünf Prozent der Arbeit aus. Sie ist mit dem Ergebnis äußerst zufrieden, wie andere auch. Als Dauerleihgabe der Stadt hängt „Die Große Welle“ nun im „Kunst-Geschoss“ neben achtundzwanzig Bildern gleich vieler Künstler, ehrenhalber. Vielleicht hat der zweite Teil dieser „Bestandsaufnahme“ sogar noch mehr Substanz als der erste. Über tausend Besucher in nur zwölf Öffnungstagen, Respekt!
Ausstellung noch bis 5. 10., Mi., Do. Sa. und So. 13 bis 18 Uhr
Gerold Paul
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: