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KulTOUR: Quälende Pointen

Hehres Gedenken zum 140. Geburtstag des Bürgerschrecks Morgenstern

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Werder (Havel) - Christian Otto Josef Wolfgang Morgenstern, Sohn und Enkel bekannter Landschaftsmaler, hatte mal wieder Geburtstag, den hundertvierzigsten. Um seiner und der ganzen brüderlichen Galgenschar rechtschaffend zu gedenken, versammelte sich vorgestern allerlei Volk in der Werderaner Comédie Soleil, was mit roten Riesenlettern draußen jetzt auch dransteht.

Ausgerechnet an diesem Jubel- und Ehrentag, erklärte Achim Risch, Chef des kooperierenden Freundeskreises Bismarckhöhe, dem wohlgefüllten Raum, habe man aus der Zeitung erfahren müssen, dass der „Wunsch nach einem eigenen Literaturmuseum“ in Werder begraben worden sei. „Das wird uns aber nicht beirren, Dein Werk zu preisen und unter dem Menschen publik zu machen“, so beschloss er seine vertraulichen Dialog mit Morgensterns Genius. Theaterleiter Michael Klemm fügte tröstend hinzu, letztlich sei das Herz „das größte Museum“, bei ihm werde dieser Dichter immer „ein Vor-Museum“ finden.

Zum Festakt gehörten nicht nur ein besonders tiefer Kotau vollster Ehrfurcht und himmelhohes Laudieren, sondern auch eine Lesung aus Morgensterns Autobiographie, was mit einem großen Herzen und gleich drei Pfund Langeweile auch geschah. Die kreuzbraven Honneurs übersahen vielleicht, dass die „Galgenlieder“ samt ihrer kryptischen „Tischrituale“ zuerst jugendlichem Übermut und nachweislicher Zechfreude in unmittelbarer Nachbarschaft zum Geist des Hochgerichts entsprangen, nicht der Dichtkunst hehrster Sphären. Mit Morgenstern alias „Rabenaas“ waren es ihrer acht Genossen, Bürgerschrecks und Rüpel, doch je länger einer im Grabe liebt, um so lauter und schöner werden wohl seine Gesänge.

Teil Zwo war seinem literarischen Werk gewidmet. Hierzu lud der Freundeskreis den langjährigen Morgenstern-Interpreten Reinhard Röhrs zu Gast, dessen literarisch-musikalisches Programm ebenfalls in zwei Teile zerfiel. Der erste beschäftigte sich umständehalber mit dem Lebensweg des Dichters als Außenansicht, der zweite war wie Eulen nach Athen tragen, denn „Werders Galgenberg und seine Spuren“ schienen dem eingeborenen Volk vielleicht etwas näher als dem weitgereisten Gast. Das Programm selbst ist mehr als zwanzig Jahre alt, da täte Frische vielleicht schon wieder mal not.

Nun hörte man weder „Fisches Nachtgesang“ noch die Gebete der kleinen Rehlein, dafür viel vom Entstehen der Galgenlieder aus dem Geist der dunklen Materie, von Henkersmaid und Fliegelflagel, von West- und von Ostküsten, vom Seufzer und dem Großen Lalula, alles zur Begleitung an Kontrabass oder Gitarre selber vertont. Warum er keine Mischung aus Lied und Rezitation wählte, sondern auf gute zwei Stunden fast durchweg singen und instrumentieren musste, blieb genauso unklar wie die Frage, was seine Textauswahl mit dem Titel „Eins und Alles“ zu tun habe.

Auch die angekündigte „Tiefe“ blieb sein norddeutscher Comedy-Geist dem Publikum schuldig. Offenbar kann dieser begnadete Musikus mit Gitarre, Kontrabass und Klavier besser umgehen als mit den Untiefen des rabenaasigen Gegenkosmos, „Galgenlieder“ benannt. Pointen-Quälen reicht da so wenig wie honorige Interpretation, der Sketch um Egon und Emilie – geschenkt. Galgenlieder sind nun mal kein Bildungsgut für Wissenschaft und Germanistik, entweder löckt der Stachel gegen allen Bürgersinn, oder man kann sich jede Mühe sparen. Gerade in Werder, unterhalb vom Galgenberg! Gerold Paul

Gerold Paul

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