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Potsdam-Mittelmark: Rätselhafte Fragen zum Schmerzmittel

Der Fichtenwalder Zahnarzt hat sich im Prozess zu Wort gemeldet. Die Beweislage scheint erdrückend

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Beelitz / Potsdam - Lange hat Marcus B. die Verhandlung vor dem Potsdamer Amtsgericht stumm verfolgt. Das Kinn auf seine rechte Faust gestützt, die linke Hand – die ohne Zeigefinger – unter dem Tisch versteckt. Am Nachmittag des dritten Verhandlungstages hat der wegen Versicherungsbetrug angeklagte Zahnarzt aus Fichtenwalde sein Schweigen überraschend gebrochen. Just in dem Moment, wo die beauftragten Gutachter immer mehr Erkenntnisse vortrugen, die B.s Version eines brutalen Raubüberfalls widersprechen.

Im Mittelpunkt der Verhandlungen stand auch am Freitag das Schmerzmittel, das in B.s Blut und auch in den Blutlachen, Bluttropfen und Blutspritzern in seiner Praxis gefunden wurde. Der Fichtenwalder gibt an, dass ihn dort im März vergangenen Jahres zwei Räuber überfallen hätten. Sie verlangten nach Geld, Gold und Medikamenten. Weil er ihnen nur 50 Euro geben konnte, schnitten sie ihm den linken Zeigefinger ab und nahmen ihn mit. In seiner Not habe er sich daraufhin mit Schmerzmittel behandelt, dass er auch benutzt, um Patienten zu betäuben.

Die Staatsanwaltschaft glaubt Marcus B. nicht. Der 43-Jährige soll sich, so die Anklagebehörde, selbst verstümmelt haben, um die Versicherung um insgesamt 850 000 Euro zu betrügen. Tatsächlich wurde in den Blutspuren in der Praxis das Schmerzmittel und sein Abbaustoff gefunden. Das beweist noch nichts. Aber auch in B.s Körperblut konnten die Ermittler nach der Tat das Schmerzmittel nachweisen – laut Aussage eines bestellten Toxikologen so viel, dass dies nur einen Schluss zulässt: Marcus B. muss sich das Mittel gespritzt haben, bevor er den Finger verlor. Nur so habe sich das Schmerzmittel und sein Abbaustoff in der gefundenen Konzentration in seinem Blutkreislauf verteilen können.

Sollte sich der Zahnarzt hingegen das Schmerzmittel erst nach dem Schnitt gespritzt haben, hätte die Konzentration in B.s Körperblut geringer sein müssen – gleichzeitig hätte das in der Praxis auf dem Boden gefundene Blut eine höhere Konzentration des Schmerzmittels aufweisen müssen. Hat es aber nicht.

Das war der Moment, in dem Marcus B. zu sprechen begann – und die Gutachter mit Fachfragen bedrängte. „Können sie mit Sicherheit sagen, ob das Schmerzmittel vorher oder nachher gespritzt wurde?“, fragte er mehrmals. Es könne doch die Blutung so gestoppt haben, dass das Schmerzmittel nicht aus der Wunde hinausschoss, sondern in den Körper hinein. Das Adrenalin im Schmerzmittel habe zudem die Blutung gehemmt. Und nicht nur das: Er sei Thrombozytenspender, der Anteil der gerinnungssteigernden Blutplättchen in seinem Körper daher sehr hoch. Auch das könne dazu geführt haben, dass sich die Wunde schnell verschloss. Ein Rechtsmediziner konnte das alles nicht ausschließen.

Trotzdem wiegt die Beweislast schwer. Schon am zweiten Verhandlungstag hatten Gutachter Zweifel an der Tatversion des Fichtenwalders angemeldet. Es seien zu wenige Blutspuren in der Praxis gefunden worden, auch die Spritzmuster wiedersprächen B.s Darstellung. Die gefundenen Blutspuren ließen zudem darauf schließen, dass zwischen dem Schnitt und dem Anruf beim Rettungsdienst mehrere Minuten vergangen sein müssen.

Zu Beginn der dritten Verhandlungsrunde sorgten auch die beiden Verteidigerinnen des Fichtenwalders für Aufsehen. Sie beantragten die Ablösung der Staatsanwältin. Von Beginn an habe sie einseitig ermittelt und sich auf eine vermeintlich verzweifelte finanzielle Situation als Tatmotiv festgelegt. Der Zahnarzt sei jedoch nicht in Geldnot, so die Anwälte. Sie warfen den Ermittlern darüber hinaus vor, nicht allen Zeugenhinweisen ausreichend nachgegangen zu sein.

Auch die mit Blutstropfen bespritzte Fußmatte aus der Zahnarztpraxis sei als Beweismittel nicht ausreichend geschützt worden. So wurde bekannt, dass die Matte in einer blauen Mülltüte vom Tatort abtransportiert wurde. Auch beantragten die Verteidiger, den beauftragten Kriminalbiologen wegen Befangenheit auszuwechseln. Er habe mehr untersucht, als ihm aufgetragen worden sei.

Die Richterin wies beide Anträge ab. Die Staatsanwaltschaft sprach von Prozessverschleppung. Am 17. Mai wird die Verhandlung fortgeführt. Mit einem Urteil ist auch dann noch nicht zu rechnen.

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