Von Tobias Reichelt: Regenwürmer in Not
In Michendorf kämpfen Frank und Stefanie Feustel um die Existenz ihrer frierenden Brut
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Michendorf - Regenwürmer sortieren ist eine geräuschlose Arbeit. Hier ein Wurm und dort ein Wurm, mit flinken Fingern sammelt Stefanie Feustel die Tiere aus dem matschigen Humus. „Wenn man nicht aufpasst, flitzen die von der Hand unter den Pullover.“ Gemeinsam mit ihrem Mann Frank züchtet Stefanie Feustel Würmer in Mengen: Vier bis fünf Millionen pro Jahr. Sie werden im Berliner Zoo verfüttert. Die Nachfrage ist enorm. Trotzdem droht der Wildenbrucher Wurmfarm jetzt das Aus. „Bei uns ist der Wurm drin, im wahrsten Sinne des Wortes“, sagt Frank Feustel. Seit 2004 betreibt das Berliner Ehepaar seine Farm. Ging es am Anfang darum, die Würmer in 50 Zentimeter hohen und 1 Meter breiten Brutbeeten aufzupäppeln und nicht entwischen zu lassen, werden die Rentner jetzt von viel größeren Sorgen gewurmt.
Schon vor knapp zwei Jahren mussten sie ihre Blockhütte auf dem Grundstück am Wildenbrucher Ortsrand abreißen. Die Hütte war im Landschaftsschutzgebiet, im Außenbereich der Gemeinde, per Ausnahmegenehmigung gebaut worden. Das Holzhaus wurde in der Nähe zu kleinen Einfamilienhäusern und einer idyllischen Bungalowsiedlung geduldet. Als das Holzbalkenfundament verrottete, ersetzten es Feustels durch ein Betonfundament. „Das war unser Fehler“, sagt Frank Feustel. Die Duldung war verletzt, eine Baugenehmigung fehlte, ein nachträglicher Antrag scheiterte vor Gericht. „Würmer interessieren mich nicht“, habe der Richter gesagt – und den Abriss angeordnet.
„Ohne Dach über dem Kopf können wir nicht richtig arbeiten“, klagt Stefanie Feustel. Die Würmer brauchen Wärme im Winter, die Feustels einen trockenen Arbeitsplatz, um die Tiere aus dem Humus zu sortieren. Auch das Werkzeug muss untergestellt werden. In der Not sprang dem Paar die „Gütergemeinschaft Kompost“ zur Seite und lieh einen alten Bauwagen. Feustels und die Würmer fühlten sich wohl, bis das Landratsamt vor knapp einem Jahr erneut vor der Tür stand: Bauwagen, Grundstückszaun und Wurmbeete seien zu beseitigen.
„Unser Unternehmen soll platt gemacht werden“, sagt Frank Feustel. Unter der Androhung einer Strafzahlung von 100 000 Euro, bauten Feustels die Holzverschalung um die Wurmbeete ab. Jetzt frieren die schutzlosen Würmer. „Bei Temperaturen um fünf Grad läuft der Kreislauf auf Sparflamme“, erklärt Frank Feustel. Wird es kälter, könnten sie sterben. An Vermehrung sei nicht zu denken. Die Würmer wollen es warm. Bei 20 bis 25 Grad reiben sich die Zwitter aneinander, befruchten sich und legen Eier. „Aus jedem können 2 bis 20 neue Würmer schlüpfen“, sagt Frank Feustel.
Um das Wurmgeschäft zu retten, ging das Ehepaar durch mehrere Instanzen, schrieb an die Gemeinde, den Landrat, besuchte einen Streitschlichter und Landtagsabgeordnete. Gestern war Grünen-Bundestagsabgeordnete Cornelia Behm vor Ort. Alle hätten verständnislos mit dem Kopf geschüttelt, sagt Frank Feustel. Den Würmern hilft das nicht.
Im Landratsamt ist man sich der Dramatik bewusst. „Die Farm zählt nicht als landwirtschaftlicher Betrieb“, sagte Simone Lierka vom Bauamt gegenüber den PNN – und kann deshalb auch keine Privilegien in Anspruch nehmen.
Frank Feustel sieht sich durchaus als Landwirt: „Würmer sind auch Tiere.“ Noch hat er rund eine Million auf Lager – lebend. Das Kilo verkauft er für 18 Euro an den Berliner Zoo. Wird es wärmer, müssen neue Brutbeete her. Es müssten sogar mehr Beete sein als bislang, wenn es nach der Nachfrage geht. Wildenbruchs Würmer sind in deutschen Zoos in aller Munde. Selbst in Laos sollen Feustels helfen, eine Wurmfarm aufzubauen. Die Tiere sind nicht nur als Lebendfutter gut, sie können wahre Meisterleistungen vollbringen: Zum Beispiel alte Kohletagebaue rekultivieren, schwärmt Frank Feustel. Alles was es brauche, sei das richtige Futter – und eine Menge Würmer.
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