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Potsdam-Mittelmark: Respektvoll und behutsam

Jana Weinert las aus ihrem Buch über ost-westdeutsche Liebesbeziehungen

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Jana Weinert las aus ihrem Buch über ost-westdeutsche Liebesbeziehungen Von Elisabeth Richter Werder. „Lebensgeschichten haben mich schon immer interessiert", sagt die junge Potsdamer Autorin Jana Weinert und verweist auf Maxie Wander, deren Erfahrungsprotokolle aus dem Leben von Frauen sie schon sehr früh gelesen hat. Nun hat sie selbst ein Buch mit Schilderungen aus dem Leben von Menschen veröffentlicht: „Die Früchte aus Nachbars Garten", Geschichten ost-westdeutscher Liebesbeziehungen (Verlag Die Furt 2002. 14,90 Euro). In einer Veranstaltung der Stadtbibliothek und dem Buchladen Monika von dem Fange las sie nun in Werder daraus vor. Wer eine süffige Geschichte über die prinzipielle Unverträglichkeit von Ostfrau und Westmann (oder umgekehrt) erwartet hatte, wurde enttäuscht. Jana Weinert hatte aus den sechs Protokollen des Buches die Geschichte eines Paares ausgewählt, in der das Thema Ost/West überhaupt keine Rolle spielte, weil es beiden Partnern gelungen war, die biografischen Eigenheiten des Anderen und die von sich selbst in die Beziehung zu integrieren. Dabei waren die bisherigen Erfahrungen von Lisa und Joseph für eine Familiengründung nicht gerade optimal. Jana Weinert ließ beiden getrennt voneinander in einem sehr ausführlichen Protokoll zu Wort kommen. Joseph ist gut zwanzig Jahre älter als Lisa, er ist in der Nachkriegszeit im Westen aufgewachsen und hat als Kind unter der unfrohen Stimmung im Elternhaus gelitten. Sein älterer Bruder beging als Jugendlicher Selbstmord, der zweite wurde homosexuell, was er selbst und die Eltern schwer akzeptierten, und somit musste zumindest Joseph das Sonnenscheinchen werden: Eine Last, die er später in Selbsterfahrungsgruppen und Psychotherapie zu verarbeiten suchte. Lisa hingegen ist nicht nur über zwanzig Jahre jünger und im Osten groß geworden, sie ist auch als kleines Kind sexuell missbraucht worden. Die Eltern ließen sich scheiden, als sie noch klein war, die Mutter heiratete wieder, aber der Stiefvater trank. Lisa wurde mit 17 Jahren vom MfS angeworben, ihr Führungsoffizier wurde zugleich ihr Geliebter. Für ihre IM-Tätigkeit bekam der Stiefvater eine Wohnung, so dass er endlich aus der Familienwohnung ausziehen konnte. Lisa beschönigt in ihrer Erinnerung nichts, sie sieht sich als „Täterin und als Opfer“ zugleich, und wenn sie sagt: „Ich will mich einlassen auf dieses Leben", dann wird deutlich, dass sie all die Brüche in ihrem Leben als zu ihr gehörig akzeptiert. Bemerkenswert an der Beziehung zwischen Lisa und Joseph ist das Ausmaß des gegenseitigen Akzeptierens und des Respekts. Respektvoll und behutsam war auch die Haltung, mit der Jana Weinert die Geschichte dieses beeindruckenden Paares vorlas. Sie selbst, „Ostfrau", in Beeskow geboren, ist mit einem „Westmann“ verheiratet. Immer wieder ärgerte sie sich darüber, wie von den Medien das Ossi-Wessi-Klischee geschürt wurde, und dies wurde der Anstoß zu ihrem Buch. Sie wollte ein positives Signal setzen. Die Geschichte von Lisa und Joseph ist ermutigend: Stimmt die Kommunikation, ist „Ost/West“ kein Thema. Ebenso wenig wie die Augenfarbe oder die Schuhgröße.

Elisabeth Richter

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