KulTOUR: Romantische Präferenzen
Schuberts „Kosegarten-Lieder“ bei den „Caputher Musiken“ in der Villa Bergmann
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Schwielowsee - Wenn zwei Männer am Meer das Meer betrachten, wird der eine Caspar David Friedrich selber sein. Und der andere? Der hat ihn hingeführt, ans Meer, an die Kreideküsten von Rügen, wie die Brüder von Humboldt oder den Maler Philipp Otto Runge: Ludwig Gotthard Theobul Kosegarten (1758-1818). Als Jüngling hatte er mal eine heiße Affäre mit einem Gutsbesitzermädchen, wurde dann aber von ihrem Gutsbesitzervater weggejagt, studierte in Greifswald Theologie, wo er auch zweimal zum Rektor ernannt wurde.
Seine Dichtungen umfassen zwölf Bände, er übersetzte aber auch Adam Smiths „Theorie der Ethischen Gefühle“ ins Deutsche. Mögen Kosegartens „Uferpredigten“ auf den Klippen von Vitt oder seine hymnologischen Aufsätze auch für manch Nachgeborenen wichtiger sein, der Kunst- und Musikwelt bleiben seine empfindsamen Gedichte um die „Thränen und Wonnen“ jener Jugendliebe im Gedächtnis. Franz Schubert hatte sie mit Achtzehn als „Kosegarten-Lieder“ vertont, wie Eleonora Sophia Maria Westenholtz (1759-1838), Sängerin und Liedkomponistin am Hofe zu Ludwigslust, später auch.
Sie lieferten am Wochenende genügend Stoff für eine romantische „Caputher Musik“ im Foyer der Bergmann-Villa des Ehepaars Hardt am Gemünde, der es nur ein wenig an Kontrast gebrach. Der Titel „An die untergehende Sonne“ hatte mit Baudelaires gleichnamigem Gedicht nichts zu tun, wie man anhand der Bild-Projektionen Caspar-David-Friedrichscher Ostsee-Bilder rasch erkennen konnte. Vorgetragen wurden sie von dem norddeutschen Kontratenor Karsten Henschel und der in Siebenbürgen geborenen Konzertpianistin Zsuzsa Varga, in der Erscheinung wie auch beim Spiel auf schneeweißem Klavier ein Wunder an Charme. Präferenz freilich: Skrjabin!
Bereits dem ersten Stück, „Impromptu As-Dur“ op. 90 Nr. 4 von Schubert, gab sie wie aus dem Nichts eine jugendlich-frische Gestalt. Alternierend zu diesen und weiteren Instrumentalstücken des Wieners, darunter flinke und ganz bäurisch-derbe Ländler. Dann Kosegartens Tag- und Nachtgesänge, etwa so: „Was ist es, das die Seele füllt? Ach, Liebe füllt sie, Liebe! Sie füllt nicht Gold, noch Goldeswert, Nicht was die öde Welt begehrt, Sie füllt nur Liebe!“, wie es in D 241 heißt.
Huldigungen, seufzendes Klagen, das Glück der Liebe, Sterne und Sehnen sind Themen, welche Schubert in genialer Kongruenz von Text und Noten komponierte. Allerdings war da die hohe Zeit der Diskante längst vorbei, und so hatte man anfangs etwas Mühe, das männlich fixierte lyrische Ich des Dichters als weiblich abgetöne Falsettstimme zu akzeptieren.
Es waren wundervolle Stücke dabei, „Die Täuschung“ und „Nachtgesang“ unter den Liedern, ein gar nicht menuettiges Menuett (D 568) sowie das brillant gegebene „Air Russe“ (D 780) für Piano solo von Schubert. „Huldigung“ und „Erscheinung“ hatte übrigens auch Sophia Westenholtz vertont, gewiss nicht schlechter als die feministisch hofierte Clara Schumann.
Einige Beiträge von Karsten Henschel kamen freilich sehr akademisch und irgendwie leicht steril daher, mehr die Situation vor Ort als den jeweiligen Duktus der zum Teil deutlich erotischen Lieder bedienend. Bisschen zu vornehm für echte Romantiker? Trotzdem gab es nach ungefähr fünfundsiebzig Minuten reichlichst Beifall. Der Abend klang mit einer Einladung der Gastgeber Hardt zum italienischen Imbiss aus. Gerold Paul
Gerold Paul
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