
© Bernd Settnik/lbn
Von Tobias Reichelt: Rübchen unter Fluglärm
Zum Teltower Rübchenanstich wurde es laut: Staatssekretär Bretschneider wagte sich in die Protest-Zone
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Teltow - Rainer Bretschneider war weit über den Teltower Rübchenacker zu hören: „Das ist völlig bekloppt. Wir planen die Flugrouten gar nicht“, rief der SPD-Staatssekretär im Verkehrsministerium den drei dicht um ihn am Feldrand versammelten Bürgermeistern und ihrem Landrat entgegen. „Ich sehe das ganz gelassen“, raunte Bretschneider – „wir ganz und gar nicht“, antwortete Kleinmachnows Bürgermeister Michael Grubert (SPD) in gleicher Lautstärke. Einen Augenblick später sah man den Staatssekretär aus dem kleinen Grüppchen zu den Gläsern mit dem Rübchengeist stapfen. Etwas Hochprozentiges musste her.
Seit gestern ist klar: Der drohende Fluglärm macht auch vor den Teltower Rübchen nicht halt. Auf dem Acker des Ruhlsdorfer Bauern Uwe Schäreke hatte der Rübchen-Förderverein im Vorfeld des Rübchenfests am Sonntag, dem 26. September, zum Anstich eingeladen. Alles war perfekt, die Sonne strahlte, die Rübchensuppe dampfte und Rübchenprinzessin Paula zog die dickste Rübe aus dem Acker – hätte nicht die Deutsche Flugsicherung dazwischen gefunkt.
Anfang September hatte die Flugsicherung überraschend mitgeteilt, dass es für den Großflughafen Berlin-Brandenburg-International andere An- und Abflugrouten geben soll als im Planfeststellungsbescheid für den Flughafen aus dem Jahr 2004 angenommen. Der Grund: Gemäß internationalen Regeln dürfen Flugzeuge auf parallelen Startbahnen zur gleichen Zeit nicht geradlinig abfliegen. Sie müssen nach dem Abheben in einem 15-Grad-Winkel nach Norden oder Süden abknicken. So fliegen sie auch über die Rübchenfelder und den Teltowkanal.
Der Unmut darüber ist groß. Auf Protestkundgebungen versammelten sich bereits bis zu 1500 Menschen. Über 5000 Unterschriften sind gesammelt. Viele Anwohner fühlen sich getäuscht, ihre Grundstücke könnten an Wert und Ruhe verlieren. Zudem wurde bekannt, dass die Landesregierung selbst die Flugsicherung 1998 zur Veränderung der Flugrouten beauftragt hat, damit die Kapazitäten des neuen Flughafens voll ausgenutzt werden können (PNN berichteten).
Allerdings: Das Land habe nicht wissen können, wie die Routenänderungen im Detail aussehen, sagte Bretschneider gestern den PNN. „Die Flugsicherung wollte die Routen erst Mitte 2010 festlegen, nicht 1998.“ Darauf habe man im Planfeststellungsbescheid hingewiesen, weshalb das Planwerk juristisch kaum anzugreifen sei. Würden Flugrouten geändert, soll das Lärmschutzgebiet nachgeführt werden, sagte Bretschneider.
Das könnte der BBI-Flughafen-Gesellschaft, zu der neben dem Bund die Länder Berlin und Brandenburg gehören, viele Millionen Euro für weitere Schallschutzfenster kosten. „Pech für den Flughafen“, so Bretschneider. Das sei „systembedingt“. Wolle man das umgehen, müsse die Flugsicherung die Routen erneut ändern, das Land könne die Aufgabe nicht übernehmen. „Die Flugsicherung muss jetzt sagen, was sie vorhat und mit den Leuten reden“, sagte Bretschneider. Möglichkeiten gebe es. „Das Ding ist nicht ausgereizt.“ Ziel müsse es sein, viele Menschen vor Lärm zu schützen.
Auch Bauer Schäreke wünscht sich Ruhe für seine Rübchen. Seit 100 Jahren baut seine Familie das Gemüse in Ruhlsdorf an. Unter Fluglärm hatte es bislang nicht zu leiden. Im Gegenteil, die Rüben gedeihen prächtig.
„Stimmt“, sagte auch Staatssekretär Bretschneider bei einer Kostprobe. „Die Rübchen schreien nicht und fliegen nicht, dafür schmecken sie.“
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