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Potsdam-Mittelmark: Rufer im Wald
Karsten Bathe könnte Bliesendorf vielleicht noch vor einem Windpark retten. Doch seine Mahnung wurde bei einer Bürgerversammlung der Windparkgegner kaum gehört
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Werder (Havel) - Ob es regnet, stürmt oder schneit: Zwei Tage die Woche ist Karsten Bathe in seinem Wald. Seine Freundin verdreht die Augen, wenn er davon erzählt, Tatsache ist: Es gibt wahrscheinlich niemanden, der den Bliesendorfer Forst so gut kennt wie er. Bathe studiert Sport und Geschichte auf Lehramt in Potsdam. Alle verbleibende Zeit gehört dem Naturschutz. Als ehrenamtlicher Naturschutzhelfer informiert der Bliesendorfer die Naturschutzbehörde über seine Funde in jenem Wald, in dem die Firma Prokon einen üppigen Windpark bauen will. Für neun Windräder sind bereits die Bauanträge gestellt.
Die Bürgerinitiative Bliesendorf kämpft gegen die Pläne. Bei ihrer Informationsveranstaltung am Donnerstagabend in Werder war Bathe zwar nicht als Referent eingeladen, ergriff aber als Gast am Schluss das Wort. Auch er sei natürlich gegen Windparks in seinem Wald. Aber dass der Stromverbrauch trotz aller LED-Birnen und Effizienzprogramme in Deutschland Jahr für Jahr steigt, treibt ihn um. „Wir müssen unseren Stromverbrauch senken und nicht überlegen, wie wir den höheren Verbrauch mit neuen Windrädern decken“, sagte Bathe. Die rund 60 Veranstaltungsteilnehmer fragte er, wer ein Handy in der Tasche hat. „Sie haben es jetzt zwei Stunden nicht gebraucht, und es war wahrscheinlich trotzdem an.“ Der Strom sei noch zu günstig, wenn die Menschen ihr Handy nicht ausschalten.
Handy und auch Internet waren nur Beispiele, Bathes Botschaft: Wir müssen unser Konsumverhalten ändern. Er fand nicht mal falsch, was an diesem Abend gesagt worden war, es klang in seinen Ohren nur unvollständig. Und der Wald, um den es geht, der kam ihm auch ein wenig kurz. Absolute Wahrheiten scheint es bei diesem Thema ohnehin nicht zu geben.
Als Referent eingeladen war der Volkswirt Nikolai Ziegler, Gründer und Chef der Bundesinitiative „Vernunftkraft“. Der immense Flächenverbrauch von Biomasse, Photovoltaik und Windkraft stehe in keinem Verhältnis zum energetischen Nutzen, sagte Ziegler mit Blick auf das Projekt in Bliesendorf. Letzte intakte Landschaften würden zu Industriegebieten. Dies nütze einer lautstarken Klientel, der traumhafte Renditen winkten. Auf der anderen Seite stünden die Verbraucher, die das alles mit den zweithöchsten Stromkosten Europas (nach Dänemark) finanzierten.
Zieglers Argumente wurden von Befürwortern der Erneuerbaren Energien im Internet schon zerlegt, besonders seine undistanzierte Haltung zur Atomkraft steht in der Kritik. Doch eine Gegenrede war am Donnerstagabend nicht eingeplant, auch die Ausführungen von Regina Pankrath, Allgemeinmedizinerin aus Berlin, blieben unwidersprochen.
Pankrath sprach von den Gefahren des Infraschalls, den Windräder aussenden, für die Gesundheit. Das Innenohr melde, dass sich etwas bewegt, alle anderen Sinnesorgane könnten das nicht bestätigen, das Gehirn den Widerspruch nicht verarbeiten. Daraus resultierten unter anderem Herz- und Kreislaufbeschwerden. Pankrath sieht sich mit dieser Ansicht durch internationale Studien bestätigt, die sie aber nicht beim Namen nannte. Tatsächlich ist die Wirkung des Infraschalls auf den Menschen nicht abschließend geklärt, liegen derzeit widersprüchliche und auch halbwissenschaftliche Untersuchungen dazu vor.
Was Bliesendorf angeht, konnte Werders SPD-Fraktionschefin Anja Spiegel mit ihrer Wortmeldung immerhin verkünden, dass in der Landes-SPD nun doch über eine neue Abstandsregelung nachgedacht werde. Der neunfache Abstand der Anlagenhöhe zu Wohngebieten sei in einer Energie-Arbeitsgruppe im Gespräch – für die in Bliesendorf geplanten 200 Meter hohen Giganten hieße dass, sie müssten 1800 statt der geplanten 1000 Meter Abstand halten zum Dorf. Wenn nicht noch etwas ganz anderes passiert.
Denn Karsten Bathe durchforstet seit zwei Jahren den Bliesendorfer Wald mit seinen wertvollen Wanderdünen nach besonders geschützten Fledermausarten, die die Windräder, die künftig das Landschaftsbild prägen und den Wald fragmentieren dürften, noch verhindern könnten. Rund 200 Tierarten hat Bathe festgestellt, davon 50 bedroht oder geschützt. Selbst ein weißer Hirsch treibt sich herum. Bathe könnte die letzte Chance der Gegner des Bürgerinitiative Bliesendorf sein, die sich gegen das Projekt wendet. Doch seine Botschaft, das Konsumverhalten zu verändern, hat längst nicht allen gefallen. Henry Klix
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