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KulTOUR: Ruhet wohl
Ein Rückblick auf das Kulturjahr 2011 in Mittelmark – ohne kalte Füße, aber auch ohne Höhepunkte
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Potsdam-Mittelmark - Eigentlich ist 2011 nichts Aufregendes passiert. Alle haben irgendwo irgendwie weitergemacht. Ob das immer „gut so“ war, möchte man nicht gern und laut entscheiden. Ein Rückblick ohne kalte Füße also, aber auch ohne Höhepunkte in der mittelmärkischen Kultur. Freundlichsein, Gefälligkeit, ein Auge schielte zum Tyrannen Kommerz, das andere auf Werweißschonwas. Nichts störte wirklich, nichts regte besonders auf.
Doch gemach, in den benachbarten „Stadtlandschaften“ ist das ja auch nicht anders. Und wenn mal was dazwischengehen wollte, taugte es meist nicht dazu. Mit ein paar wilden Videos zum Beispiel scharmützelt man weder Frau Welt noch die gesammelte Ästhetik ihrer klügsten Geister. Wenigstens meinten es alle mal wieder „gut“ mit sich und den anderen. Schließlich ist die Kunst in Potsdam-Mittelmark auch nur ein Mensch, und der will bekanntlich leben: Ein weithin leicht überschätztes Literaturhaus unter Kiefern zum Beispiel, welches eher ungewisse Autoren immer wieder allzu wichtig nimmt, um wirklich frei und mehr als bildsam zu sein.
Eine Stadt, die Hunderte der bildenden Zunft an einem Kunstsonntag wie unter Vertrag nahm, obwohl man auf mehr als die Hälfte gut und gerne verzichten konnte. Gleich nebenan musste man sich bei der „Tour Nummer 1“ eher die Füße wund laufen, bevor man so etwas wie der Kunst begegnete. Bilder als Schaufenster-Deko. Besagter Ort sollte sich lieber mal etwas Eigenes ausdenken.
Am großen See läuft es wie immer, vortrefflich: sehr bürgerfreundlich, individuell und durchweg ungefährlich für Mann und Mäuse. Eine Lanze wäre zu brechen für den Mut, mit dem die „Caputher Musiken“ dieses Jahr sich aus der bürgerlichen Bildungssoße ins Reich der Differenzen begeben haben, um im Wortsinn „Neues“ zu wagen. Ähnliches ist vom Theater zu berichten: Die Werderaner Comédie Soleil engagiert sich bis zur Schmerzgrenze für eine gute und gerechte Welt, wie an mehreren Aufführungen zum Thema „Weltverschwörung“ zu sehen, offensichtlich auf Kosten eines auch kommerziell erfolgreichen Bühnenbetriebes. Die Truppe um Siegfried Patzer hat da mehr Erfolg, dafür gibt es in der Kleinen Bühne Michendorf keine Stücke über Illuminaten oder den mysteriösen Tod von Michael Jackson zu sehen.
So ist das eben. Orgelweihe in Petzow, Papiertheater in Teltow, Ausstellungen von Kähnsdorf bis Töplitz, die Fercher Obstkistenbühne mit scheinbar ewigem Jungbrunnen-Effekt, Werders Stadtgalerie mit immer weniger Pulver und Blei.
Jeder tut ja nur, was er kann. Das kann gut und reizvoll sein, fragt sich bloß, wofür. Schließlich geht es in der Kunst nicht um irgendwelche Bildchen, es geht zuerst um den Geist, der die Bilder regiert. Wo niemand jemanden mehr auf den Filzlatsch treten will, wachsen Mittelmaß, Opportunismus und Langeweile. Kunst ist frei, nur haben ihre Jünger das längst vergessen. Warum waren ihre Äußerungen vor gut zwanzig Jahren so frisch und lebendig, warum sind sie heute so unverbindlich und tot? Weil ihre Macher offensichtlich bei lebendigem Leibe das Zeitliche gesegnet haben. Weil sie nichts mehr wollen.
Reziprok zur gesellschaftlichen Tendenz sind ihnen Erbauung und Konsens wichtiger als ein wacher, kritischer Geist. Nicht mehr viel dahinter, in dieser „Kunst“. Ein schier unerklärlicher Hang zum Weißichwas hat sie fast allesamt entschlafen lassen. Man vertreibt sich seine Lebenszeit mit der Schilderung patinöser Strukturen, mit dummen Oberflächlichkeiten? Wer sich nicht mal mehr zu denken traut, was er ohnehin nicht malen „dürfte“, bitte, was sollte das denn für ein Künstler sein? Wer den Geist der anderen nicht wecken und als letzter Posten vor dem Nichts die geistige Freiheit nicht mehr verteidigen will, dem kann man nur noch ein urgemütliches „Ruhet wohl“ nachrufen. Soll sich den Latschen anziehen, wer da gemeint ist!
Gerold Paul
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