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Potsdam-Mittelmark: Schiller als Arzt in der Kulturscheune

Schwielowsee - Wird man ein Arzt des Leibes oder ein philosophischer? Vor mehr als zweihundert Jahren hatten Medizinstudenten noch die Möglichkeit, unter diesen etablierten Lehrmeinungen zu wählen.

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Schwielowsee - Wird man ein Arzt des Leibes oder ein philosophischer? Vor mehr als zweihundert Jahren hatten Medizinstudenten noch die Möglichkeit, unter diesen etablierten Lehrmeinungen zu wählen. Letztlich ging es bei allen um die Frage, wie Leib und Seele zusammenwirkten und was für den praktizierenden Arzt daraus folgt. Friedrich Schiller wandte sich nach Abbruch seiner Jurastudien an der Militärakademie Karlsschule 1775 der Medizin zu. Sein Vater war ja selber Wundarzt. Wie dieses Studium verlief und welche Konsequenzen es auf das literarische Werk des schwäbischen Dickkopfes hatte, zeigten die Schauspielerinnen Katja Weitzenböck und Anna Luise Kiss am Wochenende in der Fercher Kulturscheune als gelungene szenische Lesung.

Filmkomponist Dominik Campus gab ein paar flotte Takte Mozart, Schubert und Grieg dazu. Gemütliche Atmosphäre unterm offenen Dachgestühl, helles Feuer im Kamin, guter Besuch, das Kulturforum Schwielowsee konnte mit seinem Jahresauftakt zufrieden sein, denn alle Welt kennt den späteren Klassiker zwar dichtend, doch wer kennt schon Schiller als Arzt? Die Autoren Wolfgang Riedel und Holger Bösmann lieferten den Stoff, aus dem der Vortrag war.

So kam heraus, dass Schiller 1780 erst mit der dritten Dissertation promovieren konnte. Eine war zu spekulativ, die andere zu philosophisch, erst die letzte unter dem Titel „Versuch über den Zusammenhang der thierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen“ brachte Erfolg. Witzigerweise hatte Schiller darin auch eine Quelle „Live of Moor“ angegeben, die aber nichts anderes war als ein Selbstzitat aus den „Räubern“, woran er parallel arbeitete.

Überraschend nun die Nutzanwendung solch medizinischer Studien für Literatur und Bühne, speziell für Schillers Erstling von 1782. Als nämlich Franz Moor, der jüngerer Sohn des Grafen von Moor, im 2. Akt beschließt, den eigenen Vater ins Grab zu bringen, tut er es in genauer Kenntnis des anthropologischen Prinzips nach dem damals gerade aktuellen Arzt und Weltweisen Ernst Plattner. Freilich in der pervertierten, der Kelippa-Variante. Durch die Aussaat von Hass, Zorn und Gram will er die väterliche „Lebenskraft misshandeln“, dessen Körper „vom Geist aus verderben“. Und so geschieht es. Ein perfektes und nicht nachweisbares Verbrechen.

Doch Nemesis ausgleichende Gerechtigkeit tötet ihn zuletzt durch dasselbe Prinzip. Seine Flucht in den Rationalismus ist sinnlos, im Disput um die Unsterblichkeit sagt Pastor Moser an seinem Totenbett sinngemäß: Wenn du nur einen Moment lang Angst verspürst beim Sterben, war es nichts mit „es gibt kein Leben danach“. Franz hieß die Kanaille!

Das literarisch-musikalische Trio brachte all diese Gedanken ganz federleicht herüber, auch wenn eine der Darstellerinnen zu sehr chargierte, statt sich auf Franzens düstere Monologe zu besinnen. Dankbarer Beifall, schließlich ist der Besitzer der Kulturscheune, Dietrich Coste, selbst einer vom Fach. Ein Schalk, wer da den Zusammenhang flöchte. Übrigens starb Schiller 1805 durch einen Giftmord – Medizin also bis ganz zuletzt.

Gerold Paul

Gerold Paul

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