
© Imago/Chromorange
Potsdam-Mittelmark: „Schlampe war noch das netteste Wort“
Was tun, wenn das eigene Kind zum Junkie wird? In Teltow geben Mütter und Väter ihre Erfahrungen im Kampf gegen die Drogensucht der Kinder weiter
Stand:
Teltow - Es war wie ein Hieb in den Magen. Als Elisabeth Knoppe* von der Drogensucht ihrer Tochter erfuhr, ist ihr die Luft weggeblieben. „Ich wollte es nicht wahrhaben“, sagt Knoppe. Während andere Mädchen im Alter von zwölf Jahren den ersten Liebesbrief schreiben, sich die Fingernägel knallbunt lackieren, hat ihre Tochter zum ersten Joint gegriffen. „Nur eineinhalb Jahre später war sie vollkommen abhängig“, sagt Knoppe. Das eigene Kind, gefangen in der Drogenwelt.
Der aktuellen Bundesstatistik zufolge zählt Marihuana weiter zur mit Abstand am häufigsten konsumierten illegalen Droge in Deutschland. Auch wenn der Konsum bei Jugendlichen rückläufig ist – ebenso wie bei Alkohol und Zigaretten –, bleiben Probleme und Sorgen bei den Eltern hängen, sagt Jochen Oppermann. Seit 1996 leitet der 73-jährige Familienvater in Teltow den Elternkreis für Mütter, Väter und Angehörige von drogengefährdeten und drogenabhängigen Jugendlichen. Sie stünden oft vor schier unlösbaren Herausforderungen und fühlten sich alleine. „Sie werden mit dem Problem Sucht konfrontiert, ohne selbst betroffen zu sein.“
Auch Elisabeth Knoppe kann sich noch gut an die schwerste Zeit ihres Lebens erinnern. „Plötzlich stand ich mit dem Rücken an der Wand“, erzählt die 50-jährige Mutter zweier Töchter. Dem ersten Joint der Jüngsten folgte der erste Vollrausch: Bier, Schnaps, Marihuana. Zertretene Türen, angedrohte Schulrauswürfe, Besuche bei der Polizei. „Schlampe war damals das netteste Wort, was man von ihr gehört hat.“ Über Nacht hatte sich mit dem Wechsel von der Grund- auf die Oberschule eine unheimliche Spirale in Gang gesetzt. Ihre Verzweiflung schien der Mutter grenzenlos.
Wenn sich Schulleitungen und Jugendämter einschalten, wenn sich Therapeuten um die Kinder kümmern, brauchten auch Eltern einen Ansprechpartner, sagt Jochen Oppermann. „Wie kann man trotz all der Belastungen sein eigenes Leben führen?“ Viele der Eltern suchen anonyme Hilfe. Gemeinsam begleiten sich Mütter und Väter in Kreisen, tauschen sich aus, informieren sich, geben Ratschläge. Solche Runden werden gefördert von den Krankenkassen und den Ländern. In Berlin und Brandenburg gibt es zwölf davon, neben Teltow auch in Potsdam und in Berlin-Zehlendorf. In Berlin bestehen die Kreise seit vier Jahrzehnten.
Elisabeth Knoppe sagt, sie habe gleich gespürt, dass mit ihrer Tochter etwas nicht stimmt. Die Schulen seien heutzutage der Drogenumschlagplatz Nummer eins. Wer süchtig ist, sucht nach Möglichkeiten, den Rausch zu finanzieren – ein Teufelskreis. „Die, die Drogen verticken, haben einen Blick für anfällige Kinder“, sagt Knoppe. „Meine Tochter war immer zurückhaltend und schüchtern.“ Ein gutes Opfer. Vieles habe sich erst mal wie Pubertät angefühlt: Gemeinsame Abendessen fielen aus, ihre Tochter hielt sich nicht an Absprachen, blieb lange weg, ganze Nächte. „Ich kam an mein Kind nicht mehr ran“, sagt Knoppe.
Irgendwann kam dann der erste Verdacht: Beim Staubsaugen fand sie ein Plastiktütchen mit einem aufgedruckten Hanfblatt. „Ihr Kind guckt Sie an, mit strahlend blauen Augen, lügt Ihnen ins Gesicht: Mama, wie kannst du mir so was nur unterstellen? Sie haben noch ein schlechtes Gewissen“, erzählt Knoppe.
Weil immer wieder auch Geld aus ihrem Portmonee fehlte, stellte sie gemeinsam mit ihrem Lebenspartner heimlich eine Kamera auf – ihre Tochter hatte Knoppe bis dahin nicht im Verdacht, eher deren Schulfreundinnen. Die Wahrheit habe sie tief verletzt. „Ihr Kind nimmt das stehend hin“, sagt Jochen Oppermann. Auch sein Kind ist süchtig. „Die Kinder leben in einer Drogenwelt und können sich nicht vorstellen, das jemals aufzugeben.“
In der Regel treffen sich die Eltern wöchentlich, ein halbes Dutzend Väter oder Mütter. Zwei bis drei Stunden wird geredet, einer nach dem anderen. „Irgendetwas müssen wir tun“, sagt Oppermann. Die Kreise tauschen Therapieeinrichtungen, Institutionen und Ärzte aus. Einige der Eltern geben Vorträge an Elternabenden in Schulen. Wer dazustoßen will, muss sich telefonisch anmelden.
„Die Eltern, die zum ersten Mal da sind, platzen vor Sorge“, sagt Oppermann. Fast alle reden drauflos, meist voller Schuldgefühle. „Wir werden es nicht verhindern können, dass Kinder Drogen ausprobieren“, sagt Oppermann. Er kenne inzwischen so viele verschiedene Fälle: Die einen waren zu lieb, die anderen zu streng. Die einen haben ihren Kindern alles ermöglichen und kaufen können, die anderen hatten kein Geld – und trotzdem wurden die Kinder süchtig. „Wir können den Eltern nur eine Hilfestellung geben.“
Das braucht Zeit. Mindestens so lange, wie die Kinder die Drogen genommen haben, dauere es, bis sie wieder davon wegkommen. Einige schaffen es nie. Die Schwierigkeit sei nicht, sagt Oppermann, sich zu überwinden und im Elternkreis zu reden, sondern den Entschluss zu fassen und daran festzuhalten, gegen die Sucht der Kinder etwas zu unternehmen. „Dann gibt es oft richtig Terror zuhause“, so Oppermann. „Darauf müssen die Eltern vorbereitet werden.“
Es seien vorwiegend Mütter, die zu den Kreisen kämen, sagt Elisabeth Knoppe. Sie hat dort gelernt, über ihre Ängste zu sprechen. Wenn sie heute nach einem Rat gefragt wird, sagt sie: „Lasst Eure Kinder entscheiden: Wenn du das nächste Mal zu spät nach Hause kommst, wird das Taschengeld gestrichen.“
Elisabeth Knoppe und ihre Tochter haben den Kampf gewonnen. Dreieinhalb Jahre verbrachte ihr Kind in der geschlossenen Therapie. Nur einmal brach sie aus, war vier Wochen weg. „Ich muss nicht alles wissen, was damals passiert ist“, sagt Knoppe. Eine Freundin hatte sie damals in Berlin wiederentdeckt. Ein Zufall, der Knoppes Tochter zurück in die Klinik führte. „Bei meiner Tochter ist im Kopf ein neues Betriebssystem aufgespult worden.“ Sie hat ihre Ausbildung, eine eigene Wohnung, ist clean. „Das Vertrauen ist wieder da“, sagt Knoppe. (*Name geändert)
Informationen im Internet:
www.ekbb.de
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: