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Auf der Suche nach Floskeln. Die Beamten in Potsdam-Mittelmark sollen keine seelenlosen Texte mehr schreiben. Wie das geht, lernen sie in der Nachhilfe.

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Potsdam-Mittelmark: Schluss mit dem Beamtendeutsch

Viele Behörden verstecken sich hinter Wort-Ungeheuern. Jetzt gibt es Schreibnachhilfe in der Amtsstube

Von Eva Schmid

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Potsdam-Mittelmark – Wer einen Blick in die Abfallentsorgungssatzung des Landkreises wirft, legt das Regelwerk schnell wieder zur Seite. „Abweichend von Absatz 1 und Absatz 2 kann der Landkreis mit Zustimmung der zuständigen Behörde allgemein durch amtliche Bekanntmachung oder im Einzelfall durch Anordnung Abfälle von der Entsorgung insgesamt oder vom Einsammeln und Befördern ausschließen oder einen solchen Ausschluss wieder aufheben.“ Wer sammelt oder hebt hier was auf? Oh du vermaledeites Beamtendeutsch!

Mit dem Wirrwarr soll jetzt Schluss sein: Der Landkreis Potsdam–Mittelmark hat Schachtelsätzen, umständlichen Formulierungen und Aneinanderreihungen von Substantiven den Kampf angesagt. Nicht ganz ohne Grund: „Es gab Beschwerden, dass manche Schreiben recht unverständlich sind“, berichtet die Sprecherin des Landratsamtes Andrea Metzler.

Die Lösung: Seit rund anderthalb Jahren feilt die Verwaltung an ihren Schreiben, Anträgen und Merkblättern. In Schreibseminaren mit dem Berliner Sprachwissenschaftler Steffen Walter wurden Briefe und Schreiben analysiert und diskutiert. Herausgekommen ist ein 35-seitiger Korrespondenzleitfaden, der zeigt, wie man es schafft, freundlich mit den Bürgern in Kontakt zu treten.

„Am schwersten fällt den Verwaltungsangestellten das verständliche Schreiben“, berichtet Steffen Walter. Immer wieder musste er hören, dass die Behördenschreiben juristisch sattelfest sein müssen. „Das ist ja auch richtig, aber es gibt keine juristische Notwendigkeit, Schachtelsätze zu schreiben.“ Um auf der sicheren Seite zu sein, würden viele Mitarbeiter teilweise Sätze direkt aus dem Gesetzestext übernehmen.

Wenn Steffen Walter mit seinen Seminaren in den Amtsstuben beginnt, dann stößt er immer auf dasselbe Problem: „Sehr häufig fehlt das Bewusstsein, dass die Begriffe außerhalb der Verwaltung gar nicht verstanden werden.“ Das Wort „Anhörung“ ist so ein Fall. „Das steht ja oft in der Betreffzeile – damit können aber rund 80 Prozent der Bürger nichts anfangen.“ Wieso also nicht verständlicher: „Wenn man ’Ihre Möglichkeit zur Stellungnahme’ schreibt, weiß man viel eher, was das Amt von einem will.“ Und wenn Steffen Walter vorschlägt, am Ende eines Briefes zu schreiben, dass man bei Fragen zum Sachverhalt gerne Beratung bietet, „dann schauen mich die Seminarteilnehmer verdutzt an.“ Der Korrespondenztrainer will den zum Teil unterschwelligen Befehlston aus den Schreiben verbannen.

Beispiele, bei denen „sprachlich der Holzhammer geschwungen wird“, wie die Pressesprecherin des Landratsamtes Andrea Metzler das passend beschreibt, gibt es viele: Dazu zählen zum Beispiel Schreiben, in denen gleich zu Beginn mit Fristen und Strafen gedroht wird. „Dabei sollte man erst den Fall nochmals erwähnen und erklären, wieso es jetzt so weit gekommen ist.“ Ärgerlich sei auch, wenn sich Bürger durch lange Begründungen kämpfen müssen. „Um dann am Ende den Satz auf den es wirklich ankommt, und zwar, dass man leistungsberechtigt ist, zu lesen“, so Metzler.

Den Beamten kann man wenig vorwerfen: „Unverständlich ist diese Sprache nicht per se, denn es handelt sich in erster Linie um eine Sprache von Experten für Experten“, erklärt Michael Hoffmann, Sprachwissenschaftler der Uni Potsdam. Behördendeutsch ist das hauptsächliche Kommunikationsmittel bei allen Verwaltungsaufgaben. Oftmals seien behördensprachliche Texte gar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. „Man denke nur an die Arbeit der Geheimdienste.“

Problematisch werde es aber, wenn beim Bürger Expertentum vorausgesetzt werde. „Dann kommt es zu Kommunikationskonflikten.“ Und die werden besonders eklatant, wenn sie ureigene Interessen der Bürger betreffen. „Man denke etwa an Rentenauskünfte und Rentenbescheide.“ Mit einer verständlicheren Sprache lasse sich der Konflikt laut Hoffmann aber nicht so einfach lösen: „Dann nämlich gingen die Verwaltungseffektivität und die juristische Verbindlichkeit verloren.“

Dem Bürger bleibe nichts anderes übrig, als sich sachkundig zu machen. Er könne dazu auch Beratungsstellen aufsuchen, so der Sprachwissenschaftler. Immerhin könnte die Verwaltung den Bürgern entgegenkommen, indem sie „unnötige Textverstehenshindernisse vermeidet“. Eines der prominentesten Hindernisse ist ein 63 Buchstaben langes Wort: das Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz. Jüngst wurde es aus dem mecklenburg-vorpommerschen Landesrecht verbannt.

Die Schreiben aus den mittelmärkischen Amtsstuben sollen zukünftig modern, einfühlsam und verständlich sein. Klare Aufforderungen stehen dazu im Korrespondenzleitfaden: „Die Empfänger Ihrer Schreiben dürfen keinen seelenlosen Text erhalten. Sie müssen spüren, dass Sie sich mit ihren Problemen, mit ihren Anliegen befasst haben.“ Es sei wichtig, dass der normale Bürger das Gefühl bekommen, dass in der Amtsstube Menschen arbeiten.

Auch bei Konfliktsituationen soll man Provokationen vermeiden. Der Leitfaden empfiehlt anstatt eines sachlichen Stichwortes in der Betreffzeile den weichen Einstieg, und zwar zum Beispiel den Bezug auf das letzte Schreiben des Empfängers. Was auch verboten ist: Abkürzungen. Besonders das gern genutzte „o.g.“. „Damit schicken sie den Leser quer über das Papier“, heißt es mahnend in dem Beamtendeutsch-Knigge. Wenn sich der neue Sprachstil in der mittelmärkischen Verwaltung vollends durchgesetzt hat, könnten an vielen Stammtischen hingegen die Gesprächsthemen ausgehen.

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