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KulTOUR: Schönheit auf Zeit

Eher Sprache als Konflikte: „Chitra“-Premiere im Theater „Comédie Soleil“

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Von Gerold Paul

Werder (Havel) - Eigentlich wird alles „von oben“ gelenkt und geordnet, auch das Wünschen. Chitra, eine Prinzessin aus dem indischen Manipur, hat allen Grund dazu, denn seitdem sie des zum Einsiedler gewordenen Helden Ajurna ansichtig wurde, glaubt sie sich hässlich. Warum? Weil ihr Vater sie wegen der Erbfolge als Mann erzogen hat. Sie liebt diesen Helden mit aller Leidenschaft ihrer Jugend, spürt nun die erwachende Weiblichkeit in sich. Er aber hat dummerweise gerade mal Keuschheit geschworen und sich einsiedelnd in einen Wald zurückgezogen. In ihrer Not wendet sie sich an die brahmanischen Götter Vasanta, der für Unsterblichkeit und ewige Jugend steht, und an den Liebesgott „mit den fünf Pfeilen“, Mandana. Werden sie dem bedrängten Erdenmädchen helfen?

Nach alten Vorlagen hat der vergessene Literaturnobelpreisträger von 1913, Rabindranath Tagore, das Stück „Chitra“ verfasst. Die „Comédie Soleil“ versuchte jetzt, das ganz auf Poesie und Sprachkraft gesetzte Liebesdrama von 1892 in Werder spielbar zu machen. Verknüpfte der Bengale Tagore den Stoff aber mit Gegensätzen wie Schönheit oder Hässlichkeit, Liebe oder Krieg, so wollen dem Jetzigen eher gendermäßige Horizonte leuchten: Chitra (Nadja Winter) wird als Frau männlich erzogen, verspürt aber die volle Weiblichkeit und Liebe zum Manne in sich? Der gnädige Brahmanenhimmel verleiht ihr trotzdem Schönheit auf Zeit, bevor sie wieder normal, also „hässlich“ wird. Merkwürdigerweise wird man dessen in der Eingangsszene bei Nadja Winter weder optisch noch spielerisch gewahr, sie wirkt höchstens ein bisschen „männisch“. Ajurna (David Segen) indes ist bereit, vor ihrem verwandelten Outfit sofort sein Keuschheitsgelübde zu brechen, weshalb sie ihn schilt und dann flieht.

Tagore (1861-1941) geht es offenbar um grundsätzliche Haltungen. Letztlich scheint alles nur ein Missverständnis zu sein, ein winziger Schritt von beiden Seiten, ein erklärendes Wort, und ihr gemeinsames Glück wäre perfekt. So ist das eben, im Leben.

Ein Gebetsschrein mit ewigem Feuer im Hintergrund, ein Stein zum Sitzen in der Mitte, Urwaldgrün drumrum, das ist die exotische Bühne. Roman Gegenbauer und der höchst alerte Christian Hiemer geben die brahmanische Götterwelt, die gewährende, das zehrende, aber kontaktscheue Liebespaar indes lebt seine „Beziehung“ nur in Deklamationen aus. Die Bühne aber verlangt nach Vorgängen, nach Leben. Tagores tiefsinnige Dialoge liefern sie, nur nimmt die Regie (Michael Klemm) sie zu selten auf, gestaltet eher Sprache als Konflikte. Es gibt hundert Gründe, warum Chitra und Ajurna sich hinter Worten verstecken, innere Prozesse, die nur der Untertext offenlegt. Nur ahnt man davon mehr, als man sieht. Ajurna bleibt zwischen Gelübde und Neigung einschichtig, Chitra hat gar keine Zeit zur Lust-Wandelei, bald ist es mit ihrer Schönheit aus – Stoff nicht genug zum Spielen? Warum hat dieses Paar so wenig Feuer im Herzen beim Reden, glühende Blicke, begehrende Hände beim Schweigen? Ihr Werderaner Dasein ist rein und hehr, sphärisch und sentimental, Ausrutscher gibt es da nicht.

Die indischen Zutaten tun dem Auge wohl, leuchtende Gewänder, fremde Musik, auch Birgit Staubers indische Tänze inmitten. Das genügt aber nicht, damit dieses Wunder an Text hier als Gegenwart auch ankommt. Zu viel Illustration, zu wenig „philosophische“ Inhalte und Details. Auch im Schluss mit Kuss, dem tragischen...

Comédie Soleil, Eisenbahnstr. 210, nächste Termine am 22. und 23. Oktober, 19.30 Uhr, am 24. um 17 Uhr

Gerold Paul

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