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Von Gabriele Hohenstein: Schuss in den unteren Rückenbereich

Keine Notwehr, sondern Körperverletzung im Amt: Sechs Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung für Teltower Polizisten

Stand:

Kleinmachnow – Drei Mal waren die Einbrecher der Polizei am 29. Dezember 2007 bereits entwischt. Als der vierte Kleinmachnower Hausbesitzer gegen 21.40 Uhr anrief, weil er verdächtige Geräusche am Fenster seiner Bibliothek vernahm, hofften die Beamten, die Täter auf frischer Tat zu stellen. Polizeikommissar Ralf N. sprang über den Gartenzaun, lief links um das Gebäude herum. Seine Kollegin Birgit E. betrat das Grundstück Am Kamp durch die Pforte. Sie näherte sich dem Haus von rechts. Was sich Sekunden später abspielte, konnte sie nicht sehen. Sie hörte ihren Kollegen rufen, kurz darauf einen Schuss. Bei ihrem Eintreffen lag ein Mann am Boden. Ralf N. stand mit seiner Pistole in der Hand da und sagte, der mutmaßliche Einbrecher sei mit hocherhobenem Brecheisen auf ihn losgegangen. Da habe er die Dienstwaffe eingesetzt. Der Schuss traf den mehrfach vorbestraften Polen Thomasz B. (35) allerdings in den unteren Rückenbereich, trat in der Leistengegend wieder aus. Gestern wurde der inzwischen 32-jährige Polizeibeamte der Wache Teltow wegen Körperverletzung im Amt zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Und er muss dem mutmaßlichen Wohnungseinbrecher Schmerzensgeld zahlen, dessen Höhe allerdings vom Zivilgericht festzustellen ist. Thomasz B. musste notoperiert werden, erlitt durch den Schuss eine Sensibilitätsstörung des linken Beins, da Nerven durchtrennt wurden. Die zwei Verteidiger des Angeklagten aus der Anwaltskanzlei Peter-Michael Diestel kündigten an, gegen das Urteil in Berufung zu gehen. Sie hatten Freispruch gefordert, gingen von einer Notwehrsituation ihres Mandanten aus.

Ralf N. – er wurde nach dem Vorfall in den Innendienst versetzt – bekundete zum Prozessauftakt, es tue ihm sehr leid, einen Menschen verletzt zu haben. Doch er habe in diesem Moment Todesangst verspürt und sich nicht anders zu helfen gewusst. Er wolle für das, was er getan habe, geradestehen. Entgegen der von Oberstaatsanwalt Karl-Heinz Klein vertretenen Anklage habe er den Flüchtenden allerdings vier Mal aufgefordert, stehenzubleiben, sich als Polizist zu erkennen gegeben und den Einsatz der Schusswaffe angedroht. Thomasz B. habe zwei etwa 60 Zentimeter lange Brecheisen in den Händen gehabt, sich drohend vor ihm aufgebaut und gebrüllt: „Hau ab, du Schwein, verpiss dich“. Als der Pole die Hand hob, habe er abgedrückt. Es sei allerdings ein sogenannter Deut-Schuss gewesen, wie er ihn in der Ausbildung gelernt habe, berichtete der Angeklagte. Solche Schüsse werden in Verteidigungssituationen abgegeben, wo keine Zeit mehr besteht, genau zu zielen. Er habe die Waffe auf die Beine des Mannes gerichtet, ihn allerdings – wie er damals glaubte – in der Dunkelheit im unteren Beckenbereich getroffen.

In der Tat gingen die Chirurgen des Potsdamer Klinikums „Ernst von Bergmann“, in das Thomasz B. eingeliefert wurde, von einem Bauchschuss aus. Sie sicherten eine Patronenhülse der Pistole der Marke Sig Sauer, Kaliber neun Millimeter, aus seiner Unterwäsche. Spezialisten des Landeskriminalamtes untersuchten die Kleidung des Verletzten nach „schussverdächtigen Beschädigungen“ und fanden heraus, die Kugel habe den Mann eindeutig in den hinteren Rückenbereich getroffen. Dies bestätigte auch Rechtsmediziner Dr. Jörg Semmler (57), der sich den Verletzten später im Auftrag der Ermittlungsbehörde anschaute.

Thomasz B. – kahlköpfig und mit der Figur eines Türstehers – trat im Prozess als Nebenkläger auf. Der Serieneinbrecher wurde in Handschellen vorgeführt. Er sitzt derzeit in Haft, wartet auf seine Abschiebung nach Polen. Er habe den Polizeibeamten, der ihm irgendetwas zurief, weder bedroht noch beleidigt, versicherte der Mann. Als ihm klar war, dass der Polizist ihn entdeckt hatte, habe er versucht, sein Heil in der Flucht zu suchen. Ein Brecheisen habe er weggeworfen, weil es ihn am Überklettern des Grundstückszaunes gehindert hätte. Das andere müsse bei der Flucht aus seinem Rucksack gefallen sein. Schon auf dem Zaun sitzend habe er einen Schmerz verspürt, sei dann zu Boden gefallen. „Es war keine Notwehrsituation. Es gab keine Rechtfertigung für den Einsatz der Schusswaffe“ begründete Amtsrichterin Waltraud Heep ihr Urteil nach rund sechsstündiger Verhandlung.

Gabriele Hohenstein

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