Potsdam-Mittelmark: „Schwarzer Peter“ wieder an das Land
Kreistag lehnte Elternbeitrag für Schülerfahrten ab und wartet nun auf eine ungewisse Reaktion
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Kreistag lehnte Elternbeitrag für Schülerfahrten ab und wartet nun auf eine ungewisse Reaktion Von Hagen Ludwig Potsdam-Mittelmark. Mehr als hundert Schüler drängten sich am Donnerstagabend gemeinsam mit ebenfalls protestierenden Müllmännern in den engen Räumen des altehrwürdigen Belziger Landratsamtes. „Erst die Schulen schließen, und dann abkassieren“, war unter anderem auf den Plakaten zu lesen, meterlange Unterschriftenlisten wurden von der Empore herab über den Köpfen des Kreistagspräsidiums heruntergelassen. Geduldig erwarteten die Jungen und Mädchen ihren Tagesordnungspunkt: Die Diskussion über eine neue Satzung zur Schülerbeförderung in Potsdam-Mittelmark, mit der erstmals auch die Eltern zur Kasse gebeten werden sollten. Unter dem Strich nur Ärger In den vergangenen Wochen hatten sich die Abgeordneten darüber bereits die Köpfe heiß geredet, nun wurden die Schüler Zeugen des Finales. Dabei erlebten sie, wie der Kreistag den „Schwarzen Peter“ an das Land zurück gab: Mit der knappen Mehrheit von 29 zu 26 Stimmen lehnte das mittelmärkische Abgeordnetenhaus in geheimer Abstimmung ab, die Eltern künftig finanziell an den Schulfahrkosten ihrer Kinder zu beteiligen. Ein klares Signal, das ähnlich auch schon aus anderen Landkreisen kam und mit dem Landesregierung und Landtag nun umgehen müssen. Zur Vorgeschichte: Der Landtag hatte im vergangenen Jahr gesetzlich festgelegt, dass die Eltern künftig an den Schülerfahrkosten „angemessen“ zu beteiligen sind. Bisher war diese Option jedem Landkreis freigestellt, und in Potsdam-Mittelmark wurden die Schülerfahrtkosten hundertprozentig aus öffentlicher Hand gezahlt. Dass nun die Eltern zur Kasse gebeten werden sollen, stieß vor allem im ländlichen Raum auf wenig Verständnis. Wenn den Dorfbewohnern wegen zu geringer Kinderzahl erst die Schulen vor der Nase geschlossen werden, sie dann für den notwendigen Bustransport zur Kilometer entfernt liegenden Schule auch noch bezahlen müssen, ist das nur schwer zu vermittelbar. Auch andere Argumente bewegten die Kreistagsabgeordneten. Erfahrungen anderer Landkreise, in denen die Eltern bereits zahlen müssen, hätten gezeigt, dass viele Kinder dann einfach nicht mehr mit dem Bus zur Schule fahren. So rechnen auch die Busunternehmen im Landkreis bei einer Kostenbeteiligung der Eltern mit einem Rückgang der Beförderungsleistung von mindestens zehn Prozent. Für den Ausfall müsste dann der Landkreis aufkommen, wie Landrat Lothar Koch (SPD) erklärte. Und nicht nur er fürchtet, dass dabei alle mit Mühe eingenommenen Elternbeiträge wieder aufgebraucht werden. Unter dem Strich für den Landkreis eine Null, ein geschwächter Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) und verärgerte Eltern. Nicht unbegründet ist auch die Furcht, dass sich künftig noch weniger Eltern mit Kindern in den dünn besiedelten Regionen des Landkreises ansiedeln und sich stattdessen für fußläufige Schulstandorte entscheiden. Landesplanerisch könnte das wohl nicht gewollt sein, argumentierte unter anderem Martin Köhler von den Bündnisgrünen. Appell an den Landtag Genug Argumente also für die große Mehrzahl der Kreistagsabgeordneten, den Brandenburgischen Landtag aufzufordern, den neuen Passus über die Elternbeteiligung wieder aus dem Schulgesetz zu nehmen. Drei Gegenstimmen und vier Enthaltungen gegen einen entsprechenden Kreistagsbeschluss gab es am Donnerstag nur aus den Reihen der SPD-Fraktion. Vor diesem Hintergrund wäre es nur logisch, erst gar keine Satzung mit einer Entgeltregelung zu beschließen, meinten die Fraktionen von PDS, Bündnisgrünen und FBB (Freie Bürger und Bauern). „Lassen wir die Verantwortung da, wo sie hingehört, beim Land. Wir haben das Gesetz nicht beschlossen, und wir haben haben auch keine Schulen geschlossen“, argumentierte unter anderem FBB-Abgeordneter Baldur Martin. CDU- und FDP-Fraktion indes warnten den Kreistag davor, das Heft des Handelns aus der Hand zu geben. Ihre Befürchtung: Nach der Ablehnung durch den Kreistag könnte das brandenburgische Innenministerium den Mittelmärkern nun eine Schülerbeförderungssatzung diktieren, mit der die Eltern drei- bis viermal so hoch belastet werden, wie zum Beispiel vom Bildungsausschuss des Kreistages empfohlen. Der hatte einen Vorschlag der Bündnisgrünen aufgegriffen, wonach sich die Eltern pauschal – unabhängig von der Entfernung zur Schule – monatlich mit 9 Euro für das erste Kind sowie 6 bzw. 3 Euro für das zweite und dritte Kind an den Schülerfahrkosten beteiligen sollten. „Moderat und solidarisch“, fand nicht nur Ausschussvorsitzender Bodo Puschner (CDU) diesen Vorschlag. In der SPD-Fraktion gingen die Meinungen über die Notwendigkeit einer solchen Satzung auseinander. Die Idee des Schülertickets Warum die Bündnisgrünen am Donnerstagabend im Kreistag nicht für die Schülerbeförderungssatzung mit ihrer eigenen Entgeltvariante stimmten, versuchte Martin Köhler zu begründen. Diese Variante wäre nur als Option gedacht, wenn alle anderen Vorschläge ins Leere laufen, sagte er. Vor allem setzen die Bündnisgrünen auf die Einführung eines Schülertickets nach dem Vorbild der Semestertickets in einigen Universitätsstädten. Bereits im Bildungsausschuss waren sie damit auch bei den anderen Parteien auf offene Ohren gestoßen (PNN berichteten). Per Beschluss ermunterte der Kreistag nun Landrat Koch, entsprechende Verhandlungen mit dem Land und dem Verkehrsverbund Berlin Brandenburg (VBB) weiterzuführen. Die Grundidee ist: Wenn die Eltern schon anteilig für die Schülerbeförderung zahlen, dann sollte das Ticket auch genutzt werden können, um zum Beispiel nach Potsdam oder Berlin zu fahren. Bis Mai, so berichtete der Landrat, will die VBB-Geschäftsführung die Ergebnisse einer ersten Machbarkeitsanalyse vorlegen. Der Haken könnte sein: Um diese Lösung wirtschaftlich realisieren zu können, müssten wahrscheinlich ebenso wie beim Studententicket alle Schüler zum Kauf verpflichtet werden. Was nutzt das Ticket aber den Schülern, bei denen im Dorf um 14 Uhr der letzte Bus ankommt und abfährt? Noch viele offen Fragen Eine Fülle von offenen Fragen also, und auch die FDP-Kreistagsfraktion hat jetzt angekündigt, sie wolle in einigen Wochen einen eigenen Vorschlag präsentieren, mit dem die Satzung „vom Kopf auf die Füße“ gestellt werde. Grundgedanke dabei sei, dass die Eltern zwar in den Ballungszentren – ähnlich wie bereits in Potsdam praktiziert – an den Kosten beteiligt werden könnten. Auf dem dünn besiedelten Land jedoch, sollte der Landkreis einen Großteil der Kosten tragen und dadurch Benachteiligungen ausgleichen. Die nächsten Wochen werden zeigen, welche Partei mit ihrer Konzeption den richtigen Weg eingeschlagen hat. Die mittelmärkischen Schüler indes könnten bald ihre Protestplakate vor dem Potsdamer Landtag entfalten.
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