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Potsdam-Mittelmark: Schweigend mehr erleben
Zum vierten Mal sind Kleinmachnower Christen am frühen Sonntagmorgen still durch den Ort gepilgert
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Kleinmachnow - Irdische Herausforderungen und himmlische Ruhe können nahe beieinanderliegen. Für rund 20 Kleinmachnower Männer ist die erste Hürde am Sonntagmorgen der klingelnde Wecker um 4 Uhr. Eine Stunde später treffen sie sich am Eingang des Waldfriedhofes. Es ist stockdunkel, aus der Friedhofskapelle dringt ein fahler Lichtschein. Alles ist still, auch die Gruppe der versammelten Männer. Denn sie haben sich an diesem Sonntagmorgen zu einem „Meditationsgang der Stille“ verabredet.
Die Initiative kam von der evangelischen Kirchengemeinde, konkret vom Männerkochkreis, den Pfarrer Jürgen Duschka leitet. Doch auch Männer der katholischen Gemeinde beteiligen sich an dem „spirituellen Erlebnis“, wie es in der Einladung heißt. Seit vier Jahren lädt Jürgen Duschka dazu ein und resümiert: „Irgendwie scheint es zu gefallen.“
Vier Stationen sind es in diesem Jahr, quer durch Kleinmachnow, darunter die Auferstehungskirche, die Thomas-Morus-Kirche und die Dorfkirche. Der Wechsel vom Schweigen auf dem Weg zum gemeinsamen Gebet bei den Andachten an verschiedenen Orten helfe bei der inneren Einkehr, so der Pfarrer. Frauen sind nicht dabei.
Jeder Andachtsort wird mit brennenden Kerzen betreten, anschließend singen sie „Laudate omnes gentes“, also „Alle Völker, lobt den Herrn“. Anfangs krächzen die meisten noch dabei, auch die Stimmen müssen erst aufwachen. Duschka kennt das schon: „Das zieht sich zwei Stunden hin, bis es klingt.“ Schon gut bei Stimme sind um diese Zeit die Amseln, die der Gruppe im Bannwald ein Ständchen trällern, drei Spechte sorgen anschließend für einen Hammersound. „Wie ein Xylofonkonzert, jeder Specht hämmert in einer anderen Tonlage“, schwärmt Lutz Göbel Stunden später.
Dann dominiert wieder das Knirschen der Schneereste unter den Sohlen. Pfarrer Duschka geht voran, bestimmt das Tempo im Pilgerschritt, „weil ja immer einige rennen, es hier aber um Entschleunigung geht“. Er will zeigen, dass es möglich ist, sich im Alltag zurückzuziehen, im normalen Umfeld auf die Pausetaste zu drücken. Hörend, sehend und riechend auf die Gegenwart einlassen, dann kann der spirituelle Rückzugsort vor der Haustür liegen.
Matthias von Kaler wurde von seiner Tochter ermuntert, mitzumachen. „Da kannst du mehr erleben, als wenn du mit Auto und dudelndem Radio durch den Ort fährst“, habe sie gesagt. Er befolgte den Rat, ging 21 Uhr zu Bett, um früh fit zu sein. Nur die Mütze, die hatte er vergessen. Am Teltowkanal wurde der eisige Wind zum Härtetest. Nebelschwaden hingen über dem Wasser, aus dem Nichts tauchte ein Frachter auf, eine Arche, und verschwand Sekunden später im Dunst.
Unterwegs kommuniziert man mit Blicken, manchmal durch ein Kopfnicken. Das Schweigen verbindet, drei Stunden lang, es ist Teil der Gruppe geworden. Es wird heller, auf dem Weg durch den Bannwald zur Thomas-Morus-Kirche belohnt der Himmel die Pilger mit einem roten Sonnenball. Später beim gemeinsamen Frühstück in der Stahnsdorfer Konditorei „Aux Délices Normands“ herrscht fröhliche Stimmung. „Wir haben uns auch viel zu erzählen“, lacht Bodo Bohn, der seit dem ersten Meditationsgang dabei ist.
Der neue Papst ist ein Thema. Man ist sich einig, dass die Ökumene auch künftig auf der unteren Ebene besser funktionieren wird. Lutz Göbel vergleicht das Verhältnis der beiden Kirchen mit zwei Kegeln, die nebeneinander stehen. „Unten viel Kontakt und oben viel Luft.“ Richard Reinfeld von der katholischen Gemeinde lobt die Netzwerkarbeit und prescht dann mit einer Idee vor: Im nächsten Jahr könnte sich doch auch eine zweite, eine Frauengruppe auf den Meditationsgang begeben. Und alle – Männer und Frauen, Katholiken und Protestanten – könnten sich abschließend zum Gedankenaustausch treffen. Kirsten Graulich
Kirsten Graulich
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