
© tor
Von Tobias Reichelt: „Schweine schützen Sie, Menschen nicht“
Die Wildschweinplage stört den Dorffrieden in Stahnsdorf – Rathaus und Politik suchen nach Auswegen
Stand:
Stahnsdorf - Eigentlich war der Montagmorgen wie jeder Morgen, erzählt Ursula Welsch. Die 66-jährige Stahnsdorferin ist früh um 7 Uhr aufgestanden, hat sich frischgemacht und den Frühstückstisch für sich und ihren Mann gedeckt. Was noch fehlte, war die PNN aus dem Briefkasten an der Gartenpforte. Schon beim ersten Schritt aus der Haustür ergriff sie das blanke Entsetzen: „Der Rittersporn, die Tulpen, die seltenen englischen Narzissen“, zählt sie auf und schlägt die Hände vor dem Gesicht zusammen: „Alles weg, alles aufgefressen, alles zerwühlt.“ Wildschweine hatten die liebevolle Gartenarbeit von über 25 Jahren in einer Nacht zerstört.
Schicksale, die Stahnsdorfs Ordnungsamtsleiter Steffen Weickert mittlerweile nur zu gut kennt: Täglich sagt er, bekomme er bis zu 20 Anrufe von wildschweingeplagten Anwohnern. Täglich sei das Ordnungsamt unterwegs, um die Schäden in den vielen Stahnsdorfer Gärten zu begutachten. Und täglich müssten seine Mitarbeiter aufgebrachte Menschen in ihren zerwühlten Gärten beruhigen. „Wir müssen mit Besonnenheit vorgehen“, gibt er seinen Ordnungshütern auf den Weg, wenn er sie auf die Wildschweintour schickt – so wie gestern zum Ehepaar Welsch.
Statt wohlriechendem Blumenduft steigt den Besuchern am Garteneingang ein fauliger Gestank in die Nase. „Vorsicht, jede Menge Schweinedreck“, ruft Reiner Welsch der achtköpfigen Gruppe hinter ihm zu, während er durch die aufgewühlten Blumenbeete auf ein Rasenstück steigt. Seit die Schweine die Gärten an der Bahnhofstraße durchkämmt haben, gibt es in der Nachbarschaft nur noch ein Thema. Viele sind dazugekommen, als sie hörten, dass das Ordnungsamt die Schäden zählt.
„Uns gefällt es auch nicht, wenn die Schweine hier sind“, bekommt Reiner Welsch von den Ordnungshüterinnen zu hören. Der Fall werde dokumentiert und an die Jagdbehörde gemeldet. Damit es nicht dabei bleibt, wollen CDU und SPD die Jagd im Dorf noch lohnenswerter machen: Für jedes abgeschossene Schwein sollen die Jäger 100 bis 150 Euro vom Rathaus bekommen – der Beschlussantrag für die Julisitzung des Gemeinderats dürfte mehrheitsfähig sein. Für Welschs kommt das etwas zu spät.
Reiner Welsch ist enttäuscht. Vom Ordnungsamt gibt’s auch keine Hilfe, nur den Hinweis, dass sein Zaun nicht wildschweinsicher sei. „Den haben wir erst vor zwei Jahren gebaut“, entfährt es seiner Frau Ursula. Doch die Mitarbeiterinnen vom Amt bleiben dabei: So lange die Zaunmaschen nicht fest im Boden verankert sind, werden die Schweine wiederkommen. „Am besten wir mauern uns ein und machen hier den Führerbunker draus“, entfährt es Reiner Welsch im Zorn. Seine Frage, ob er denn selbst auf die Schweine schießen dürfe, wird strikt verneint.
Selbst das Ordnungsamt dürfe nicht schießen, erklärt Leiter Weickert, nur die Jäger. Und auch für die ist es nicht leicht: In der befriedeten Stahnsdorfer Ortslage habe es erst einen Schuss gegeben – zu gefährlich sei die Jagd in den dicht besiedelten Gebieten. Es gibt auch bürokratische Hemmnisse, die Grundstückseigner müssen eine Sondergenehmigung bei der Unteren Jagdbehörde beantragen. Erst mit der Genehmigung können sie den Jäger bestellen. Gerne will das Amt den Gartenbesitzern beim Antragsverfahren helfen, sagt Weickert. Zum Thema bekommen auch die Welschs noch eine Rathaus-Broschüre zugeschickt – eine Erfolgsgarantie sei das alles nicht. Das Rathaus sucht noch nach einem zweiten Weg: Es hat bei der Oberen Jagdbehörde die Aufstellung einer Lebendfalle in den Gartenrevieren des Schwarzkittels beantragt.
Frau Welsch kann das alles nicht mehr verstehen: „Die Schweine schützen Sie, die Menschen nicht“, fährt sie die Ordnugsamtmitarbeiterinnen entnervt an, bis Reiner Welsch seine Ursula in den Arm nehmen muss. „Noch nie habe ich meine Frau so gesehen“, sagt er zur Entschuldigung. „Wie lange will sich die Gemeinde das noch angucken?“, fragen die umstehenden Nachbarn.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: