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Von Tobias Reichelt: Seiltanz vor dem Leben

Gabry Klotzek berät in Teltow seit 30 Jahren Frauen während ihrer Schwangerschaft

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Teltow - Es klingelt, beherzt greift Gabry Klotzek zum Telefon: „Ich brauche leider einen Termin bei Ihnen“, ist am anderen Ende der Leitung zu hören. Kein Problem, ein paar kurze Worte und alles ist klar. „Ich weiß, worum es den Frauen geht, wenn sie sich so bei mir melden“, sagt Klotzek, während sie auflegt. Für die Sozialarbeiterin sind solche Anrufe Routine. Seit 30 Jahren berät sie im Teltower Gesundheitszentrum schwangere Frauen vor Abtreibungen – wie in diesem Fall – aber auch vor Geburten – wie in vielen anderen. Die 58-Jährige gibt Hilfe und Rat zum Elterngeld oder zur gesunden Ernährung während der Schwangerschaft und versucht die richtigen Worte zu finden, wenn es um die schwierige Entscheidung zwischen Leben und Tod geht.

„So eine Konfliktberatung ist immer ein Seiltanz“, erzählt Klotzek, während sie mit ihrem Kugelschreiber einen dicken Rahmen um den Termin in ihrem Kalender malt. „Wir sollen zum Kind beraten, wertfrei und ergebnisoffen“, erzählt sie von ihrer Aufgabe. Es braucht Erfahrung, um das zu schaffen. Nicht selten kämen Frauen zu ihr, die genau wüssten was sie wollten – einen Beratungsschein. Der wird in Deutschland vorausgesetzt, um eine Schwangerschaft innerhalb der ersten zwölf Wochen abzubrechen.

Gründe dafür gebe es genügend: Frauen, die von ihrem Partner verlassen wurden, Pärchen, die etwas anderes planten, Mütter, die bereits zwei, drei oder vier Kinder haben und sich überfordert fühlen oder Teenager, die sich mit der Verhütung nicht auskannten und von der Schwangerschaft überrascht wurden, zählt Klotzek auf. Gerade die Zahl der 15- bis 16-Jährigen, die sie aufsuchten, habe sich in den vergangenen zwei Jahren auffällig vergrößert. Allein seit Januar hat Klotzek vier Mädchen beraten.

Ob jung oder erwachsen: Wollen die Frauen abtreiben, müssen sie sich auf das Gespräch mit der zierlichen Gabry Klotzek einlassen. „Sie sollen zumindest die Phantasie zulassen, wie es mit Kind wäre“, sagt sie. Für viele Frauen sei die Schwangerschaft im ersten Moment eine Katastrophe. Probleme, die nicht da waren, türmten sich auf. „Es kommt nicht selten vor, dass sich auch Männer überfordert fühlen“, sagt Klotzek. „Frauen träumen von einer kleiner Familie, Männer hingegen fürchten den Abschied vom Junggesellenleben.“ So reiche es nicht, wenn der Mann die Entscheidung für oder gegen die Abtreibung der Frau überlasse, auch er müsse abwägen. Deshalb berät Klotzek oft beide.

Viele fragten Klotzek, die selbst Mutter dreier Kinder ist, was sie machen würde: Den Schritt zum Kind wagen oder doch lieber warten? „Entscheiden müssen sie selbst“, sagt Klotzek. Dafür hat der Gesetzgeber mindestens drei Tage Bedenkzeit vorgegeben, die zwischen der erfolgten Beratung und dem tatsächlichen Eingriff liegen müssen – anders als zu DDR Zeiten: Eine Pflichtberatung gab es nicht, aber bereits Frauen wie Gabry Klotzek, die in gynäkologischen Praxen arbeiteten.

Da die Arbeit in der Beratungsstelle vielseitig ist, sieht Klotzek einige Frauen wieder. Schließlich gehe es nicht nur um Schwangerschaftsabbrüche, sondern auch um das werdende Kind: Wo finde ich eine größere Wohnung, wie beantrage ich Kindergeld, welchen Arbeitsschutz genießen Schwangere, wie komme ich an einen Krippenplatz? Fragen, auf die Klotzek eine Antwort weiß.

Vorwiegend Geringverdiener oder sozial Schwache nutzten das kostenlose Beratungsangebot. „Die haben mehr zu klären und andere Probleme als Frauen mit gutem Einkommen“, sagt Klotzek. Bei denen gehe es stattdessen um Mobbing auf der Arbeit oder auslaufende Arbeitsverträge. Ein fanatischer Abtreibungsgegner habe sie auch einmal besucht – nur einmal in 30 Jahren. „Ein schwieriger Fall“, sagt Klotzek. Aber so sei das nun mal: „Das ist das sogenannte Leben, das bildet sich hier in all seinen Facetten ab.“

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