KulTOUR: Seitenspringen per Sie
Volksbühne: „Der letzte der feurigen Liebhaber“
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Wer „in die Jahre kommt“, will es noch mal wissen, besonders da, wo es früher vermeintlich am schönsten war, bei Sex und Erotik. Also sucht man die stille Kemenate, das Schäferstündchen, Erfahrungen, die man noch nie gemacht hat, um letztlich zu erkennen, dass es „das“ halt auch nicht war. Ungefähr so hat man sich die Dramaturgie für Neil Simons Boulevard-Komödie „Der letzte der feurigen Liebhaber“ (1963) vorzustellen, mit dem Siegfried Patzer und die Seinen in der Michendorfer „Volksbühne“ einen Neuanfang wagen.
Barney Silbermann, langzeitverheiratet und Besitzer eines New Yorker Fischrestaurants, macht in der schönen Inszenierung von Astrid Straßburger allerdings kaum den Eindruck eines „Feurigen“, er wirkt eher schüchtern, unbeholfen. Klar, für ihn ist es nach 23 getreuen Ehejahren ja auch „das erste Mal“. Als Tatort seiner Amouren hat er sich merkwürdigerweise die Nobelsuite seiner Mutter ausgesucht, da muss in zwei Stunden alles vorbei und geschehen sein, Mutti darf ja nichts merken. Und natürlich gehört nicht nur ein unzufrieden-neugieriger Ehemann zu diesem Handel, sondern auch die entsprechende Damenwelt.
Elaine (Ilka Maria Pollock) ist in der Kulissenbühne von Holger Hanewacker/Siegried Patzer die Erste, die es kraft ihrer Kurven noch mal außerehelich „wissen will“. Doch es kommt alles anders, der arme Barney (Rafael Hilpert) sucht gar nicht den Sex, sondern „die Ausnahme, die andere Erfahrung“, wie er sagt, und diese kann ihm auch die üppigste Elaine einfach nicht bieten. Nummer zwei ist Bobby Michele, eine paranoide Quasselstrippe in Gestalt der Regisseurin und Schauspielerin Astrid Straßburger, schrill, doch auch völlig anders gegeben. Einfach klasse!
Mit Jeanette, Ehefrau seines Freundes, wird dann alles tatsächlich zu einer neuen Erfahrung, und zwar zu einer platonischen, wie das auch sein muss. Aloisia Zöller in dieser Rolle scheint der Regie freilich etwas zu geradlinig geraten, mal depressiv, mal nach Art des Slapstick, irgendwie unentschieden. Dafür hat Neil Simon dem dritten und letzten Bild seines Stückes die meiste Substanz gegeben, den Figuren Tiefe, dem Sein jenen Dreh, um den es im Leben halt geht. Zum Beispiel um die Frage, ob es – nota bene 1963! – noch anständige Leute in der Welt gebe, und ob es fair sei, seine Eigene so zu betrügen.
Das wurde in Michendorf derart beim Wort genommen, dass die komödiantische Anlage vor lauter Ernsthaftigkeit fast gekippt wäre. Das erste Bild wirkt etwas lahm und zerfahren, das zweite ist herrlich schrill, das dritte holt alles aus sich heraus.
Astrid Straßburgers Regie war deutlich bemüht, jedem Anhauch einer „Klamotte“ aus dem Weg zu gehen, manchmal zulasten von Humor und Satire. Rafael Hilpert als selten feuriger Liebhaber und Hahn im Korbe gibt sich eingangs im feinen Anzug eher steif, wird aber mit lockererer Konfektion der folgenden Akte zunehmend gelöster. Ein Komödiant, wie er quasi im Buche steht, ein Souverän und Spieler der Bühne.
Dass es gleich dreimal nichts ward mit dem begehrlichen Seitensprung, war weniger seinen fischgeruchigen Händen und dem vornehmen „Sie“ als einem intakten Gewissen geschuldet. Was daraus folgt, kann man sich denken. Oder einfach in Michendorfs „Volksbühne“ vorbeischauen, da wird die wahre und letzte Lösung präsentiert.
Wer als gestandener Mensch ein paar Häppchen von den späten Geheimnissen des Lebens erhaschen will, ist hier gerade richtig. Gerold Paul
Potsdamer Straße 37; an allen Juni-Wochenenden Freitag und Samstag 19.30 Uhr, Sonntag 17 Uhr
Gerold Paul
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