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„Tante-Gertraud-Laden“: Das frühere Geschäft der Warnicks.

© privat

Potsdam-Mittelmark: Service auch in Mangeljahren

70 Tante-Emma-Läden gab es einst in Kleinmachnow. Besonders beliebt war der von Familie Warnick

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Kleinmachnow - Weiße Schürze, weißes Häubchen, und immer ein Lächeln – so stand Gertraud Warnick in den 1950er Jahren hinter der Ladentheke. Im Konsum-Lebensmittelgeschäft an der Ecke Am Hochwald bediente sie ihre Kunden noch persönlich, wog die Waren ab und verpackte sie in Tüten. Über 70 solcher Kleingeschäfte, die oft nur so groß wie ein Wohnzimmer waren, gab es einst in Kleinmachnow, wie Gertraud Warnicks Sohn Klaus-Jürgen recherchiert hat. Dort gab es nicht nur Butter, Mehl und Linsen: Auch Neuigkeiten gingen in der noch fernsehlosen Zeit über den Ladentisch.

„Meine Mutter war nicht nur Verkäuferin, sondern auch Seelsorgerin und Familienberaterin“, sagt Warnick, der kürzlich in einer Veranstaltung des Heimatvereins über die Geschichte der Tante-Emma-Läden in Kleinmachnow berichtete. Der Kommunalpolitiker der Linken und heutige Chef der Gemeindevertretung ist in der Sommerfeldsiedlung aufgewachsen und kannte die meisten kleinen Geschäfte im Ort, an die heute fast nichts mehr erinnert. „Man musste nicht weit gehen, alle 200 Meter war ein kleiner Laden“, sagte er. Neben dem genossenschaftlichen Konsum und der staatlichen HO gab es auch mehr als 40 „Private“ – selbst noch zu einer Zeit, als solche „Tante-Emma-Läden“ im Westen ausgestorben waren.

Gertraud Warnick gab beim Heimatverein auch selbst Auskunft über ihre langjährigen Erfahrungen als Konsum-Verkaufsstellenleiterin und als HO-Kommissionärin nach der Wende. Nicht nur ihre freundliche Art, sondern auch kaufmännisches Geschick hatten dazu beigetragen, dass sie doppelt so viel Umsatz einnahm wie ihre Kollegen in anderen Verkaufsstellen. Schon in den Mangeljahren nach dem Krieg hieß ihr Zauberwort „Service“, und dazu gehörte, dass ein Lehrling die bestellte Kundenware ins Haus lieferte.

Da Lebensmittel in den Anfangsjahren noch rationiert wurden, mussten die Kunden beim Einkauf Marken abgeben. Jeder Sonntag war daher bei Warnicks „Klebetag“. Dazu wurde der große Tisch im Wohnzimmer ausgezogen und darauf das „Neue Deutschland“ ausgebreitet. Denn das SED-Zentralorgan war papiermäßig ein Großformat, also gut geeignet, um darauf die Kundenmarken der ganzen Woche zu kleben. „Dabei haben wir immer schöne Musik gehört“, erzählte Gertraud Warnick und fügte mit einem Seufzer hinzu: „Als die Marken abgeschafft wurden, wussten wir gar nicht mehr, was wir mit dem Sonntag anfangen sollten“.

Das änderte sich nach der Wende, als die Warnicks ihren HO-Laden in der Rudolf-Breitscheid-Straße 60 auch am Sonntag öffneten. „Die Leute standen in Zickzack-Schlangen bis um die Ecke, weil nur zwölf zugleich in den Laden reinpassten“, berichtete Klaus-Jürgen Warnick, der mit seinem Vater für Warennachschub sorgte, während die Mutter an der Kasse stand. Ähnlicher Andrang herrschte auch im Laden an der Straße Am Walde – und das schon zu DDR-Zeiten. Dort öffnete ein Herr Zornow, von allen der „Dicke“ genannt, seinen Kunden Tag und Nacht die Tür, wenn die draußen klingelten.

Viele der älteren Zuhörer erinnerten sich noch an große Bonbongläser und manche Kostproben daraus, die es in den Privat-Lädchen gab. Eine kuriose Anekdote erzählte Gisela Kretzschmar vom Obst- und Gemüsehändler Georg Howe, dessen Geschäft an der Hohen Kiefer noch zu DDR-Zeiten der provokante Schriftzug zierte „Obst-Gemüse-Südfrüchte“. Doch in den Kisten vor dem Laden lagen meist nur Mohrrüben, Kohl und Gurken. Eines Tages war große Aufregung, nicht nur weil es ausnahmsweise mal Bananen gab, sondern ein kleines Äffchen einen Heidenrabatz in dem Laden veranstaltete. Da half auch der Kohlrabi nichts, den Händler Howe dem Tier flehend entgegen hielt. Das Äffchen, ortsbekannt und stets auf der Schulter von Drehbuchautor Hans Albert Pederzani sitzend, fegte über den Ladentisch zu seinem Ziel: Bananen – noch lange Zeit das Symbol des Mangels in der DDR.

Kirsten Graulich

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