KulTOUR: Sinnlichkeit und Verführung
Teltow - Selbstzeugnisse und Manifeste von bildenden Künstlern gibt es spätestens seit Dürer. Sie alle bekennen den Wunsch, sich Rechenschaft über den Weg ihres Tuns zu geben, einige probten auch den Griff nach der Welt.
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Teltow - Selbstzeugnisse und Manifeste von bildenden Künstlern gibt es spätestens seit Dürer. Sie alle bekennen den Wunsch, sich Rechenschaft über den Weg ihres Tuns zu geben, einige probten auch den Griff nach der Welt. So ganz aufgehört hat das nicht, es ist nur selten geworden: So brachte der kürzlich verstorbene Maler Matthias Hollefreund die Essenz seines Schaffens erst 1994 zu Papier. In Erwägung, dass jedes Bild ja doch nur Illusion sei, forderte er seine Kollegen „zur Rückkehr in eine ungeordnete Sinnlichkeit“ auf. „Malt wieder verführerische Bilder und gebraucht die Illusion der Malerei: Stofflichkeit, Räumlichkeit, das Abbild.“ Verführung statt Belehrung also, Emotion statt Vernunft, Körperlichkeit, nicht Abstraktion!
Nun, mag dieses eine Blatt Papier („Manifest des Illusionismus“) nicht immer überzeugen, so ist es doch der Schlüssel für die noch von Hollefreund konzipierte Akt-Ausstellung in seinem Teltower Atelierhaus. Ganz radikal ging es um nichts weniger als um die Kunst des 21. Jahrhunderts. Illusionistisch soll sie sein, und transzendental. Was für ein Anspruch.
Das Haus in der Potsdamer Straße wurde 1835 erbaut. Vor fünf Jahren erhielt es innen drin seine jetzige Form. Es wirkt wie halbiert: Auf der einen Seite das Atelier mit Blick bis zum Giebel, auf der anderen treppauf ein lichtes Zimmer, an dessen Wänden Aquarelle von Lavendelfeldern hängen. Auf den Tischen Skizzen, Gemaltes und Gezeichnetes auf einem Haufen, daneben eine Mappe mit Arbeitsfotos. Zwei Zimmer unten voll mit Arbeiten, das Bild-Magazin. So hat man sich des Künstlers Arbeitsplatz eigentlich schon immer vorgestellt.
Aber die Hauptsache sind natürlich die Aktbilder im Hauptraum selbst. Neben Matthias Hollefreund beteiligen sich Julia A. Hofmann, Frauke Schmidt-Theilig und die Leipzigerin Sabine Kasan an der Ausstellung mit dem hübschen Titel „Der sinnliche Akt am Rande der Großstadt“. Mehr lasziv als transzendental sind Hollefreunds Akte im Großformat. Sie stammen aus den 90er-Jahren und später. Es scheint, als sei er hier bis zu den lichtdurchfluteten Franzosen des späten 19. Jahrhunderts vorgedrungen, als fehlte da noch etwas zum Manifest. Dann fünfmal dieselbe aufs Papier gemalt, mit Dessous beim An- oder Ausziehen. Strings am Rande der Großstadt ja, Strapse nein, Gott sei Dank. Das Gesamterlebnis macht’s!
Weil diese Exposition als Hommage an Matthias Hollefreund (1947–2015) gedacht ist, haben sich die drei Damen in Zahl und Format ihrer Bilder deutlich zurückgenommen. Zwei, drei Arbeiten von Frauke Schmidt-Theilig, schon bei der Akt-Ausstellung vor zwei Jahren im Matthes-Haus zu sehen, noch bescheidener Sabine Kasan. Sie zeigt zum Beispiel eine Frau, die gerade ihre Hülle fallen lässt, ein übermaltes Foto. Na ja. Bleibt Julia A. Hofmann, ein gewaltiges Porträtier-Talent. Sie setzt Frauen oder Männer ins perfekt gestylte Helldunkel ihrer Szenerie. Provokation soll oder könnte manches sein. Doch kann Perfektes denn noch sinnlich und verführend wirken?
Eine interessante Schau in einem geheimnisvollen Haus also. Da Bild- und Autorennamen durchweg fehlen, wird der Uneingeweihte zuerst mehr verwirrt als verführt, vielleicht soll das so sein. Zu sehen jedenfalls gibt’s viel, zum Denken auch. Sabine Hollefreund gebührt aller Respekt, dass sie die Ausstellung in diesem schweren Jahr ermöglicht und mitgetragen hat. Gerold Paul
Atelierhaus in Teltow, Potsdamer Straße 87, geöffnet am 8. und 15. November von 15 bis 18 Uhr.
Gerold Paul
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