Potsdam-Mittelmark: Speisenkarte mit Geschichtsunterricht
Der Kossatenhof: Die einstige HO-Gaststätte ist das letzte Gebäude vom S-Bahnhof Stahnsdorf
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Stahnsdorf - Vor dem Blick in den Kochtopf ein Blick in die Heimatgeschichte. Die Gaststätte „Kossatenhof“ gegenüber dem Südwestkirchhof macht es nicht nur möglich, sie regt auch dazu an: In der Mappe mit der umfangreichen Speisekarte liegt obenan ein gut lesbarer Text über das Werden und Wachsen der aus Deutsch-Stahnsdorf und Wendisch-Stahnsdorf erwachsenen Gemeinde, die 1264 als Stanesdorp erstmals erwähnt wurde.
Der Vorsitzende des Heimatvereins, Jürgen Böhm, hat aufgezeichnet, wie sich vor 700 Jahren die Bewohner der Katen, also die Kossaten und Hintersassen, durch das magere Leben schlugen, wie dann die ersten Bauernhöfe entstanden und wie mit dem Bau des Teltowkanals gewissermaßen ein neues Zeitalter begann. Die Berliner Stadtsynode erwarb 206 Hektar Wald-, Heide- und Ackerflächen und schuf den Südwestkirchhof, 1913 kam von Wannsee über Dreilinden der erste Eisenbahnzug – die so genannte Friedhofsbahn – hierher, 1928 rollte die S-Bahn und so wuchs weitab vom Dorfkern die recht moderne Kolonie Stahnsdorf-West heran. Mit Wirtschaftsunternehmen wie dem Haus „Sonneneck“. Auch der neue Bahnhof wollte gastfreundlich sein und bekam eine Erfrischungshalle, in der Herrmann und Willy Türck als erste Pächter einstiegen. Nach einem wechselvollen Schicksal ist nun daraus die Gaststätte „Kossatenhof“ geworden, „die mit ihrem Namen auch die Verbundenheit mit der Stahnsdorfer Geschichte symbolisiert“, schreibt Böhm.
Eben das ist auch das Anliegen von Bernd Krenz-Witkowski, der das vor drei Jahren so schön renovierte Haus mit den 70 Innenplätzen und 100 Plätzen im Vorgarten betreibt und nicht nur Essen anbietet, sondern auch Veranstaltungen. So gibt es am 15. September einen „Orientalischen Abend“ mit ebensolchen Kostbarkeiten und im Oktober folgt wieder eine „Ostalgische Woche“ mit Speisen, die Erinnerungen an die DDR wecken – wie das Senfkrusten-Steak namens „Strindberg“. Von großem Wert ist die Gaststätte für den Südwestkirchhof. Viele Teilnehmer an den regelmäßigen Führungen über die Grabanlagen kehren vor der Heimfahrt hier ein – ebenso Trauergesellschaften, die nach einer Beerdigung noch im familiären Kreis verweilen wollen. „Wir haben ja im Verlaufe eines Jahres nun bereits wieder 800 Beisetzungen“, betont Olaf Ihlefeld, der Verwaltungschef des Kirchhofes. Ungern erinnert er sich an den Trubel um das Lokal nach der Wende: Die Pächter kamen und gingen, es herrschte Unsicherheit. „Mit dem Kossatenhof haben wir wieder ein ordentliches Umfeld“, meint Ihlefeld und hat dabei auch die Stahnsdorfer Geschichte im Blick.
Das Haus ist das einzige Gebäude, das von der einstigen Friedhofsbahn übrig geblieben ist. Zu DDR-Zeiten, als die Strecke längst abgetrennt war, gab es hier Speise und Trank. Noch im Telefonbuch von 1970 wird auf die „Gaststätte HO am S-Bahnhof“ hingewiesen. Für Umsatz sorgten damals aber nicht mehr die Bahnfahrer, sondern vor allem die Soldaten aus den benachbarten großen Kasernen, wenn sie Ausgang hatten. Jo
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