Von Tobias Reichelt: Stamm zu Kunst
Der Stahnsdorfer Südwestkirchhof bietet Künstlern in seinem 100. Jubiläumsjahr ein Atelier
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Stahnsdorf - Schon eine ganze Weile blickt Steffen Brünner auf den vor ihm liegenden Kiefernstamm. Die Kettensäge in der Hand und den Ohrschutz auf dem Kopf ist der Potsdamer Künstler voll und ganz in den knapp drei Meter langen Zylinder vor sich vertieft. Plötzlich reißt er am Anlasser seiner Säge und macht einen mutigen Schnitt – mitten durch den Baum.
„100 Jahre - 100 Tage“ lautet das Motto, unter dem sich seit dem Pfingstwochenende im Mai sieben Künstler auf dem Kirchhof zu schaffen machen, der in diesem Jahr sein 100-jähriges Bestehen feiert. Mitten auf dem knapp 500 Hektar großen Gelände hat ihnen Friedhofsverwalter Olaf Ihlefeldt ein „Atelier“ geschaffen und getreu dem Jubiläumsjahr 100 Tage Zeit gegeben, um aus altem „Brennholz“ und nicht mehr benötigten Grabsteinen Kunst werden zu lassen.
Gestern, nach 20 Tagen Vorbereitungszeit, begannen auf der Friedhofswiese, nahe der norwegischen Holzkirche, die handwerklichen Arbeiten. Es wird gesägt, gehämmert und gemeißelt. „Die Künstler stammen alle aus der Region“, erzählt Corinna Braun, die gemeinsam mit ihrem Bildhauerkollegen Christian Hamberger, das Atelier initiiert hat. „Die Idee ist, die Kunstwerke aus dem zu fertigen, was der Friedhof an Material bietet“, sagt Braun.
Bei 200 Hektar Wald ist das vor allem Holz. In mühevoller Arbeit haben die Bildhauer Braun und Hamberger die Stämme und vergessenen Grabsteine auf dem Gelände zusammengesammelt. Noch befinden sich alle Künstler in der schöpferischen Anfangsphase und können auf dem Friedhof fast täglich bei ihrer Arbeit beobachtet werden. Ideen, was aus den Hölzern und Grabsteinen werden soll, haben die Kunstschaffenden bereits. So plant der Mittenwalder Bildhauer Harald Müller mehrere schlafende Figuren aus alten Grabsteinen zu meißeln. In größeren Dimensionen denkt der Wilhelmshorster Künstler Hans-Ulrich Kittelmann, der mit drei Baumstämmen, einer Parkbank und einem Grabstein die menschliche Geschichte, von der Geburt bis zum Tod und der Wiederauferstehung darstellen möchte.
Auch der Kleinmachnower Bildhauer Michael Heyers arbeitet auf der Wiese an einem knapp drei Meter langen Kiefernstamm. „Es macht einfach unheimlich Spaß, an so einem großen Stück zu arbeiten“, sagt er. Mit seinem Baum möchte er das Arbeitsmotto weiterführen und bis zum Ende der Arbeiten 100 Öffnungen in das Holz hineinarbeiten.
Aus fast allen Grabsteinen und Stämmen sollen in den verbleibenden 80 Tagen, bis zur Vernissage am 12. September, säulenartige Kunstwerke entstehen, die entlang der bekannten Sichtachse zur Stabholzkirche ihren Platz auf dem Südwestkirchhof finden werden. Schon jetzt sind interessierte Besucher eingeladen, zuzuschauen, erklärt der Potsdamer Bildhauer Brünner, der aus seinem Stamm einen Wegweiser machen will: durch das Leben bis zum Tod und darüber hinaus, sagt er noch kurz, bevor er wieder konzentriert zur Säge greift.
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