Potsdam-Mittelmark: Strafttat oder journalistische Pflicht?
Landgericht sieht das Senden der strittigen Erklärung des Sabersky-Erben Sonnenthal als Beleidigung
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Landgericht sieht das Senden der strittigen Erklärung des Sabersky-Erben Sonnenthal als Beleidigung Potsdam/Teltow. Eberhard Derlig hat nie bereut, den Beitrag gesendet zu haben. Auch nicht nach dem gestrigen Urteil am Landgericht, dass den Mitbegründer des „teltowkanals“ für schuldig befand, den Straftatsbestand einer Beleidigung erfüllt zu haben. Richterin Angelika Eibisch verurteilte Derlig zu einer Geldstrafe von 900 Euro, weil er im Frühjahr 2001 eine Erklärung des Sabersky-Erben Peter Sonnenthal ausstrahlte, in der letzterer – aus Wut über den langwierigen Rechtsstreit um Rückgabe einstigen jüdischen Eigentums in Teltow-Seehof – Vergleiche zur Rechtssprechung im Dritten Reich zog. Sonnenthal warf den zuständigen Richtern im Seehof-Prozess eine „antisemitische Verzögerungsstrategie“ vor und bezeichnete sie als judenfeindliche Beamte. Mit laufender Kamera im Studio des „teltowkanals“ hatte Derlig die Erklärung Sonnenthals sowie die synchrone Übersetzung durch dessen damaligen Anwalt Florian Lewens aufgenommen und ins Programm des Senders genommen. Der von Sonnenthal angegriffene Verwaltungsrichter Winfried Hamm fühlte sich in seiner Ehre verletzt und stellte Strafantrag wegen Beleidigung. Auch der Präsident des Oberverwaltungsgerichts erstattete Anzeige – gegen Sonnenthal und Lewens wegen Beleidigung sowie Beihilfe. Und gegen Derlig: Er soll fahrlässig seine journalistische Pflicht verletzt haben, „Druckwerte von strafbarem Inhalt fernzuhalten“. So hieß es schließlich in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft, als sich Derlig erstmals im Mai 2002 vor dem Potsdamer Amtsgericht verantworten musste. Zu diesem Zeitpunkt waren Sonnenthal und Lewens jeweils schon zu einer empfindlichen Geldstrafe verurteilt worden – beide legten gegen den Richterspruch Berufung ein. Derlig wurde am Amtsgericht freigesprochen, doch wurde das Urteil nicht rechtskräftig, da die Staatsanwaltschaft in Berufung ging. Daher ging die „Strafsache gegen Derlig“ gestern am Landgericht in die zweite Instanz. Derlig fühlte sich in dem Verhandlungssaal reichlich deplatziert. Nicht nur, weil er davon überzeugt ist, nicht Unrechtes getan zu haben, sondern vielmehr die Meinungs- und Pressefreiheit bedient zu haben, indem er Sonnenthals Erklärung sendete. Vor allem aber der Umstand, dass Sonnenthal inzwischen im Berufungsverfahren vom Landgericht rechtskräftig freigesprochen wurde, ließ Derlig gestern fragen: „Ich verstehe nicht, warum ich hier sitze?“ Wo keine Straftat sei, könne auch er nicht belangt werden. Der Unterschied zwischen Sonnenthal und Derlig: Ersterer ist Amerikaner. Als solcher habe er schlichtweg nicht gewusst, dass er etwas Verbotenes tut, als er die Richter als „antisemitische Beamte“ bezeichnete. In Sonnenthals Rechts- und Kulturverständnis sind die Grenzen der freien Meinungsäußerung weit gefasst. In Deutschland sind seine Worte eine Ehrverletzung, betonte auch das Landgericht trotz des Freispruchs. Sonnenthals Ex-Anwalt Lewens – als Deutscher – hatte damit rechnen müssen, der Beihilfe schuldig gesprochen zu werden. Gegen Zahlung von 5000 Euro stimmte er daher der Einstellung des Verfahrens zu. Wähnte sich Derlig gestern lediglich wegen fahrlässiger Verletzung seiner Sorgfaltspflicht als Journalist vor Gericht, waren sowohl er wie auch sein Anwalt Alexander Ignor überrascht über die jähe Wendung, die Richterin Eibisch der Verhandlung gab: Auch in Derligs Fall müsse der Straftatsbestand der Beleidigung geprüft werden. Der wiederholten Bitte Ignors, diesen neuen Vorwurf zu erklären, da er wie ein Blitz eingeschlagen habe, kam Richterin Eibisch nicht nach: Sie sei zu diesem rechtlichen Hinweis verpflichtet, erläutern müsse sie ihn nicht. Dass er – lediglich nur Überbringer der Nachricht – nun für deren vermeintlich beleidigende Wirkung „büßen“ soll, bestätigte Derlig in seinem Eindruck, dass gegen ihn ein Urteil gefällt werden soll, das bei Sonnenthal nicht möglich war. Derlig erklärte gestern, angesichts des langjährigen Rechtsstreits um Teltow-Seehof Verständnis für Sonnenthals Erregung über die erneute Verzögerung des Verfahrens im Frühjahr 2001 gehabt zu haben. Er habe die Erklärung als „Geißelung der Bürokratie“ verstanden und sei der Meinung, dass „Juden eher geholfen werden muss als anderen“. All das wertete die Richterin als Interesse Derligs, dass Anliegen der Sabersky-Erben zu unterstützen. „Ihnen war Sonnenthals Erklärung ein eigenes Anliegen“, hielt sie Derlig vor. Daher habe er nicht nur fahrlässig seine redaktionelle Sorgfaltspflicht verletzt, sondern die Richter selbst beleidigt. Den Fernsehzuschauer interessiere das subjektive Empfinden des jüdischen Erben nicht, die zu den drastischen Worten führten. Die unbefangenen Adressaten der Sendung hätten lediglich die „Diffamierungen“ und „Beleidigungen“ wahrgenommen. In seinem Plädoyer bemühte Derlig-Verteidiger Ignor das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Selbst Fachjuristen falle es schwer, eine Grenze zu ziehen zwischen freier Rede und Beleidigung. Derlig hatte mit Sonnenthal und Lewens zwei Juristen vor der Kamera, die selbst von der Straffreiheit ihrer Worte überzeugt sein mussten. Zudem sei es die ureigenste Form der Medien, mit Beiträgen zur Meinungsbildung der Öffentlichkeit beizutragen. Dabei sei abzuwägen – „im Zweifel für die Meinungsfreiheit“, betont Ignor. Das gelte im rechtlichen wie im journalistischen Raum. Diese Abwägung habe weder die Staatsanwaltschaft noch die Richterin geführt, bedauerte Ignor und wird mit Derlig nun die nächste Instanz bemühen. Schlusswort des Fernsehmachers: „Wir müssen vom Recht der Meinungsfreiheit Gebrauch machen dürfen, sonst haben wir wieder DDR-Fernsehen.“ Peter Könnicke
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