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Potsdam-Mittelmark: „Streichelunterricht nach der Wende ließ den Ehrgeiz sinken“ Tischlergesellen blicken in eine unsichere Zukunft

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Caputh. Übergabe der Gesellenbriefe der Potsdamer Tischlerinnung am Freitagabend: So feierlich der Anlass auch war, die Stimmung war eher ernüchternd. „Die Durchfallquote bei den angehenden Tischlergesellen lag im letzten Jahr noch bei etwa 20 Prozent, dieses Jahr sind es zwischen 40 und 70 Prozent“, erklärt Dr. Stefan Körber vom Brandenburger Landesinnungsverband des Tischlerhandwerks. Die Ursachen findet er vor allem in der Spaßgesellschaft, die keine Zeit mehr für persönliche Anstrengungen lässt. Bereits die Bewerbungen um den Tischlerberuf lassen viele Meister verzweifeln. „Die meisten können nur stockend lesen, kaum ein Wort fehlerfrei schreiben und vom Rechnen ganz zu schweigen“, sagt Potsdams Innungsobermeister Matthias John frustriert. Für ihn ist der „Streichelunterricht“ der Wendejahre für diese Situation mitverantwortlich. Die Jugendlichen hätten keinen Druck gespürt, keinen Ehrgeiz nötig gehabt und letztlich kaum schulische Grundkenntnisse erworben. Andererseits schlossen im Potsdamer Innungsbereich immer noch mehr Gesellen ab, als benötigt werden. 11 junge Männer nahmen nach dreijähriger Ausbildung ihre Gesellenbriefe in Empfang, die besten Drei wurden ausgezeichnet. Niemand wusste vorher, wie das Gesellenstück bewertet wurde und so gab es gute und böse Überraschungen. Fabian Peukert wurde für sein DVD-Regal als bester Lehrling in der Praxis ausgezeichnet und wurde davon völlig überrumpelt. „Das hätte ich nie gedacht“, freut sich der 20-Jährige. Doch übernommen wird er von seinem Ausbildungsbetrieb nicht. Überhaupt haben dieses Glück in diesem Jahr nur drei Potsdamer Lehrlinge. Also geht Fabian wie die meisten erstmal zur Bundeswehr. „Hoffentlich kann ich bei der Marine ein bisschen rumtischlern“, scherzt Fabian. „Ich will in dem Beruf bleiben, aber ich will etwas ausgefallenes machen, nicht so ein Standard-Tischler sein“, wünscht sich der ausgezeichnete Junggeselle. Weniger optimistisch ist da Oliver Stapel. Er wurde auch von der Benotung seines Gesellenstückes überrascht, allerdings negativ. „Ich bin mit der Bewertung überhaupt nicht zufrieden.“ Er wird zwar noch bis Ende des Jahres von seinem Betrieb übernommen, aber anschließend geht auch er zum Bund. „Danach beginne ich eine technische Weiterbildung oder versuche was ganz anderes - Justizvollzugsbeamter vielleicht“, sagt Oliver. „Ich will ein schönes Leben haben, dazu braucht man Geld und ich glaube nicht, dass ich als Tischler gut verdienen kann“, meint er. mika

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