Potsdam-Mittelmark: Süße Düfte über Werders Insel
Ein Stadtspaziergang wird zum Ausflug ins 19. Jahrhundert – geblieben ist die Vorfreude auf den Heiligen Abend
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Ein Stadtspaziergang wird zum Ausflug ins 19. Jahrhundert – geblieben ist die Vorfreude auf den Heiligen Abend Werder – In den letzten Tagen vor dem Fest ist es ruhig geworden auf Werders Insel: Still liegt das Wasser in der Föhse, kein Wind geht durch die entlaubten Linden, die am Ufer der Winterkälte trotzen. Hinter den Fenstern der Geschäfte leuchten Kerzen auf elektrischen Weihnachtspyramiden und nur hier und dort sieht man jemanden mit hochgeschlagenem Kragen durch die Straßen eilen, wohl um die letzten Einkäufe zu erledigen. Die Spaziergänger haben sich fröstelnd und mit roten Gesichtern in die Cafés beeilt, um sich dort bei einer Tasse Tee aufzuwärmen. Sonst ist niemand draußen. „Früher sah das ganz anders aus“, sagt Dorothea Arnim. Wohl kaum jemand weiß mehr über Werder als die Stadtführerin. Sie kennt viele Geschichten über den Ort und seine Menschen. Und Weihnachten, weiß sie, war hier schon immer sehr stimmungsvoll. Heute hat sie zu einem besonderen Termin eingeladen: einen Rundgang durch die Inselstadt des 19. Jahrhunderts. Die Zeitreise ins weihnachtliche Werder von damals beginnt an der Föhse. Gemütlich flanieren wir über die lange Inselbrücke auf die beiden Torhäuschen am anderen Ufer zu. Hier sehen wir sie vor uns – die Werderaner von einst, wie sie sich an kalten Tagen hinaus aufs Eis gewagt haben. Jauchzend rutschen Kinder über ihre „Schlitterbahnen“ im ersten Schnee. Einige Erwachsene ziehen ihre Kreise auf Schlittschuhen, die sich bei genauerer Betrachtung als Kufen herausstellen, die einfach unter die Stiefel gebunden wurden. Am Ufer tobt eine wilde Schneeballschlacht – hin und wieder bekommt auch ein Unbeteiligter eine Salve ab, formt sich ebenfalls einen Ball und wirft ihn herzlich lachend zurück. Nachdem wir den Pförtner bezahlt haben, wird das Tor zur Insel aufgetan. Am zugefrorenen Fluss sehen wir noch eine Weile dem regen Treiben zu, bevor uns der Weg durch eine kleine Gasse in Richtung Innenstadt führt. Hinter der nächsten Ecke, an der Brauerei vorbei, steht prachtvoll das Stadtpalais, der Sitz derer von Kaehne. Später einmal wird es den Werderanern als das Lendel-Haus bekannt sein. Durch die Gassen dringt das Aroma von frisch gebackenem Honigkuchen, unverkennbar ist der süße Duft dieser Kostbarkeit, die es nur zu Weihnachten gibt. Er weist uns den Weg zum Markt. Nach einigen Schritten stehen wir mitten im vorweihnachtlichen Spektakel. Bäcker, Fleischer und Handwerker bieten ihre Erzeugnisse an. Frauen in dicken Mänteln überlegen vor den Buden, welche Vorräte sie noch aufstocken müssen, während die Männer sich über Alltägliches miteinander unterhalten. Atemwolken werden von den Marktbesuchern in die Luft gesprochen. Es gibt sogar einen Spielzeugmacher, und vor dessen Stand drängeln sich die Halbwüchsigen. „Die haben von ihren Eltern einen Dreier, oder sogar einen Sechser bekommen und wollen sich dafür eine Knarre kaufen“, erzählt die Stadtführerin und berichtet von diesem beliebten Spielzeug, dass beim Herumwirbeln ein schnarrendes Geräusch macht. Einer leistet sich sogar ein Kaleidoskop und wird dafür von den anderen Kindern beneidet, immerhin kostet das zehn Pfennige. In der Lindenstraße dringt Rauch aus den Schornsteinen der kleinen Häuser. Durch eines der Fenster sieht man eine Familie, die sich in der Küche zusammengefunden hat, um sich aufzuwärmen. Auf dem Feuer brodelt ein Kessel. „Zu besonderen Anlässen wie dem Weihnachtsfest wird aber die ,gute Stube’ aufgemacht, ein feiner Raum der sonst verschlossen ist“, erklärt Dorothea Arnim. Für den Heiligen Abend wird dort der Ofen geheizt: Jemand bringt Reisig und Holz herbei, um das Feuer zu entfachen. Danach werden die Kerzen auf die Weihnachtspyramide gesteckt – einen Tannenbaum gibt es hier noch nicht. Nur noch ein kurzes Stück, und wir stehen wieder am Wasser. Hier gehen die Fischer ihrer Arbeit nach, weit draußen auf dem Eis, fast in der Mitte der Havel zwischen Werder und dem Wildpark. Sie haben eine Lume, ein großes Loch in die Oberfläche gehauen, um dort das Netz einzutauchen. Mit Stangen wird es, durch mehrere kleine Löcher, aufs Ufer zu bewegt. Arnim berichtet: „Ihren Fang müssten die Fischer eigentlich nach Potsdam bringen und dem König anbieten und jene, die er nicht will, auf dem dortigen Markt verkaufen.“ Aber so genau nehme man es damit nicht, etwas werde schon für die Werderaner abfallen – zumal der Fang durch diese Methode mehr als reichlich ist. Einer der Petrijünger hängt einen Holzkarpfen an die Tür zu einer der Hütten. „Das ist die Karpe, die bringen die Fischersfrauen jetzt von Haus zu Haus: alsZeichen dafür, dass ihre Männer Feierabend machen.“ Wir laufen auf der Fischerstraße, der längsten und ältesten im Werder dieses Jahrhunderts. König Friedrich Wilhelm sei einmal mit seinem Wagen hier stecken geblieben, erzählt die Stadtführerin. Daraufhin habe er befohlen, dass die Werderaner ihre Straßen befestigen. Die Insel war beim Soldatenkönig wohl beliebt, er hatte hier einige seiner „langen Kerls“ stationiert, da diese von einer Insel nicht so schnell desertieren können. Über Michaelis- und Kirchstraße gelangen wir in der Dämmerung hinauf zur Kirche. Es wird Abend, die Sonne taucht hinter den Häusern der Inselstadt langsam in die Havel. Die Bürger sind allesamt zum Gottesdienst erschienen. Im Innern wird es hell, und zwischen all den Kerzen erklingt im Chor „Süßer die Glocken nie klingen“. Das Lied wurde von einem Herrn Kritzinger aus Lehnin geschrieben, berichtet Arnim. Nach dem Gottesdienst wünscht ein jeder dem anderen ein „gesegnetes Fest“ und für diesen Abend trennen sich die Menschen voneinander. Wie die Werderaner von einst suchen auch wir nun, etwas durchgefroren, den Schutz in einem der Häuser. Unser Spaziergang endet am Markplatz in der Stube des Bürgermeisters Schönemann. Auch hier steht die Weihnachtspyramide in der Ecke und verbreitet ein warmes Licht. Es ist recht spät, und hinter dem Fensterladen hören wir den Nachtwächter mit seiner „Knarre“ rasseln. Er muss noch bis weit nach Mitternacht durch die Stadt laufen und darauf achten, dass alle Türen und Fenster geschlossen sind, während die Bürger es sich schon längst in der guten Stube gemütlich gemacht haben. „Ich hoffe, es hat ihnen gefallen“, schließt Dorothea Arnim – plötzlich wieder im Werder des 21. Jahrhunderts. Das Bürgermeisterhaus ist heute das Café Inselgalerie am Markt. Munter unterhalten sich die Gäste dort bei warmen Getränken über ihre Feiertagspläne. Die Pyramide steht noch immer in der Ecke, ein Holzgestell mit den Kerzen. Aber noch etwas ist geblieben vom Weihnachten des damaligen Werder: In den Augen der Menschen leuchtet unverändert die Vorfreude auf den Heiligen Abend.
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