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Potsdam-Mittelmark: „Tante Emma mit Bart“ nimmt Abschied von Ferch

Hans-Jürgen Wagner war mehr als ein Verkäufer / Der einzige Laden des Ortes wird vorerst geschlossen

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Hans-Jürgen Wagner war mehr als ein Verkäufer / Der einzige Laden des Ortes wird vorerst geschlossen Von Wolfgang Post Schwielowsee · Ferch – „Vor sechs Jahren eröffnete meine Frau Doris dieses Geschäft in Ferch“, erinnert sich Hans-Jürgen Wagner und schaut blitzartig auf den Datumsanzeiger seiner Armbanduhr. „Und nun ist in ein paar Tagen Schluss“, kommt es etwas wehmütig über seine Lippen. Am Ostersonnabend öffnet Hans-Jürgen Wagner sein Kaufladen ein letztes Mal für die Kunden. Verhindern kann es auch Ortsbürgermeister Roland Büchner nicht. „Das Gebäude ist im Privatbesitz. Darauf hat also die Gemeinde nur bedingt Einfluss“, sagt er. „Die Besitzer wollen Eigenbedarf in Anspruch nehmen.“ Damals, 1999, waren die Fercher froh. Endlich nach einer mehrjährigen Durststrecke machte in der Beelitzer Straße gleich neben dem ehemaligen Rathaus der „Tante-Emma-Laden“ wieder seine Türen auf. Nach der Wende hatten alle vier Verkaufsstellen für Waren des täglichen Bedarfs in Ferch geschlossen: An der Dorfstraße, am Campingplatz Neue Scheune, in der Waldstraße und schließlich in der Beelitzer Straße. „Die Gemeinde ließ nichts unversucht, wieder eine Verkaufsstelle zu reaktivieren, aber zunächst schlug alles fehl“, erinnert sich Büchner. Dann klappte es mit Wagners. Die Ehefrau betrieb einen ähnlich großen Laden in der Weinbergstraße in Potsdam und „delegierte“ ihren Mann als „Tante Emma mit Bart“ in den Fercher Laden. „Das war gut mit den zwei Geschäften, denn einer allein hätte nicht lange existieren können, weil sich damit erst der Einkauf beim Großhandel rentierte“, erklärt Wagner. Leicht war der Anfang für den ursprünglich aus Buna stammenden Kaufmann in Ferch nicht. „So mancher kam zunächst misstrauisch zur Tür herein, ob er bei mir nicht übers Ohr gehauen wird“, erzählt er. „Landsleute“ aus der Halle-Bitterfelder Region unterstützten ihn jedoch, so dass er rasch Fuß fasste. Schnell lernte es seine Stammkunden kennen. „Wenn einer rein kam, griff ich sofort ins Regal, weil ich oft schon wusste, was er kaufen wollte.“ Wagner ist mehr als ein Verkäufer, er hilft auch älteren Kunden, hat oft einen Rat und ist immer für ein Schwätzchen zu haben. Nicht zuletzt gab es in dem kleinen Laden auch eine Postagentur. „Die Fercher waren mit Herrn Wagner zufrieden“, erzählt Büchner. „Er erfüllte so manchen Extrawunsch, schaffte schnell was herbei, das er gerade nicht im Angebot hatte, und wenn es ein gefüllter Präsentkorb war, der mal eben schleunigst gebraucht wurde.“ „Besonders die Älteren, die Unmobilen, brauchen einen solchen Laden“, so der Ortsbürgermeister. Deshalb klagt der schwer gehbehinderte Walter Schütte: „Was soll bloß nach Ostern werden?“ Wagner hebt die Schultern: „Opa Schütte, darauf kann ich nichts antworten. Es tut mir leid“. Der Gebäude in der Beelitzer Straße hat eine lange Tradition.. Familie Weiß, die 1930 in das Haus zog, baute es zu einem Kolonialwarenladen um und betrieb bald darauf noch eine Tankstelle, die bis 1939 existierte. In der Broschüre „Ferch einst und jetzt“ zeigt Wagner ein Foto, auf dem Zapfsäulen am Haus zu sehen sind. Bis 1953 unter Familie Ebel Konsum-Verkaufsstelle weiß Dorothea Kimmel noch von einem Farbenladen und einen Textilladen an dieser Stelle. An die Fercher richtet Büchner den Appell: „Erst mal ruhig bleiben. Die Tochter der Hausbesitzerin, will im Mai das Geschäft wieder eröffnen. Lassen wir uns überraschen.“ Hans-Jürgen Wagner, der gern bis zur Rente noch vier Jahre gemacht hätte, geht indes in die Arbeitslosigkeit, „und kurze Zeit später wohl auch seine Frau, weil sie das Geschäft in Potsdam nicht mehr halten kann.“

Wolfgang Post

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