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KulTOUR: Tauchgang in Wilhelmshorst

Eine Menge Ehrfurcht und Respekt für den Lyriker Durs Grünbein im Huchelhaus

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Michendorf - Einem vielgeehrten Dichter tritt man respektvoll gegenüber. Weitgereist und voller Lorbeer, wird man von ihm hören wollen, was kein Durchschnittshirn sich träumt: Wie das ist, auf den Grund der Tiefen zu tauchen, in der Sternenwelt zu surfen oder sein Lyrisches Ich durch Zeiten und Räume wandeln zu lassen. Durs Grünbein glaubt, von all dem ausreichend zu haben, schließlich ist er Träger diverser Auszeichnungen, hat seine „Frankfurter Poetik-Vorlesungen“ fast dort gehalten, wo Theodor Adorno einst das Ende der Lyrik nach Auschwitz verkündete. Ein kluger Mann, ein vielgereister Mann, ein Lyriker, vor dem scheinbar alle Welt die Kniee beugt. Manchmal ein Poet. Zwölf Jahre nach seinem ersten Auftritt als frischgekürter Huchelpreis-Träger las er am Dienstag wiederum im Wilhelmshorster Huchelhaus aus seinen Werken.

Den Titel hatte sich der Meister selbst gewählt: „Etwas in mir schreibt am Gedicht / Ich bin es und ich bin es nicht“. Mitteilungen um Schreib-, Rezeptions- und Wahrnehmungsfragen waren also im im vollbesetzten Hause zu erwarten, doch ließ er Moderator Michael Opitz keine Chance, auch mal nachzuhaken, der Hochge(l)ehrte bestimmte den Abend voller Routine und fast allein: Als Wunsch-Spiegelbild seiner selbst, seines Ego nebst Werk. Das Ende war abrupt, auch die Zuschauer kamen nicht mehr zu Wort. So ist das wohl, wenn Durs Grünbein auf Tauchstation geht.

War denn wirklich so doll, was der Büchnerpreis-Träger, Jahrgang 1962, da außerhalb jeder Kritik zu verkündigen hatte? Der gebürtige Dresdener sucht für sich und den Vers einen Ort zwischen Himmel und Meergrund, und bleibt dabei doch mehr im erdnahem Raum, als es den Geistern der Lyrik lieb sein könnte. Er bindet seine Dichtungen sozusagen an das Stoffliche, statt ihnen Flugraum zu geben, Freiheiten von der Erde, wo man halben Wissens über den gottesfürchtigen Blaise Pascal parliert, die abgenutzte Kosmologie der Heutigen mit frischen Worten aufpoliert und die Griechen samt ihrer Minerva an den Anfang des Denkens stellt. War nicht Atlantis davor, wo Grünbein seinen Geist hinabtauchen lässt, der Ort toter Dichter, deren Worte man nicht mehr versteht? Hat das sein Zeit- und Raumgefühl nicht beeinflusst? Schade, aus den „Bars von Atlantis“ las er nicht vor.

Poesie ist für ihn einerseits „subjektive Magie als Sprachereignis“, andererseits „das schlechte Gewissen der Literatur“. Von den Städten glaubt er zwar, sie hätten nichts mit ihren Namen zu tun, hält sich aber in seinen Venedig-Gedichten selbst nicht daran, na, und das lose Geplänkel um „Inspiration wie ein Blitzschlag“ löste das vorgegebene Thema auch nicht gerade zwingend ein, trotz „Libellen in Liberia“. Der Rest war Routine.

Obwohl geistiger Ziehsohn von Heiner Müller, griff er nur selten nach der Politik, seine Einlassungen zum Kosmopolitismus waren ja weiß Gott auch kein Renner. Er favorisiert das 17. Jahrhundert, und mit Descartes und seiner Denk-Sprache einen der Väter dieser glücklosen Neuzeit. Wann wären Poesie und Philosophie je echte Freunde gewesen! Mancher Tauchgang also war gut, andere schön, selten war etwas poetisch. Bei einem Autor, der sich Minerven verschreibt und dem materiegebundenen Raum, auch kein Wunder.

Bleibt die Frage an die Veranstalter – neben dem Huchelhaus auch das Brandenburgische Literaturbüro: Warum darf man seinen Gästen eigentlich nicht mal kräftig und kritisch in die Parade fahren, bevor sie abtauchen? Immer kann man nicht lieb sein, am Grunde der Literatur ...

Gerold Paul

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