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Von Gabriele Hohenstein und Henry Klix: Tod am „Tannenhof“

Schwerer Unfall vom Dezember 2008 vor Gericht: Vorwurf der fahrlässigen Tötung ließ sich nicht erhärten

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Werder (Havel) – Wenn man keine Ortskenntnis besitzt, sieht man den „Tannenhof“ erst im letzten Augenblick. Er ist nicht ausgeschildert. Der für die Kunden ausgewiesene Parkplatz jenseits der Lehniner Chaussee ist normalerweise ein Acker. Links und rechts der Fahrbahn stehen dicke Bäume. Menschen, die die Landesstraße überqueren wollen, um zum „Tannenhof“ zu gelangen, sind deshalb schwer zu erkennen, schätzte Detlev D. (52) von der Wache Werder gestern vor Gericht ein. Der Polizeibeamte wurde am Nachmittag des 14. Dezember 2008 zu einem schweren Unfall gerufen, der sich unmittelbar an der Zufahrt des vor fünf Jahren gegründeten Werderaner Agrarunternehmens – es vermarktet für etwa drei Wochen im Jahr recht erfolgreich Weihnachtsbäume – ereignete.

Auch Lutz L.* (57) und seine Ehefrau hatten sich an jenem Nachmittag ihren Baum ausgesucht, ihn selbst geschlagen und auch schon im Auto verstaut. Dann wollten die Werderaner noch etwas essen, mussten erneut über die Straße. Dabei wurde die 43-jährige Luise L.* von einem Auto erfasst und mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe geschleudert. Sie erlag vier Tage später ihren Verletzungen im Potsdamer Klinikum.

Eineinhalb Jahre nach dem tragischen Geschehen musste sich Jonas J.* wegen fahrlässiger Tötung vor dem Jugendschöffengericht verantworten. Der Bundeswehrangehörige war damals 19 Jahre alt, seit einem knappen Jahr im Besitz der Fahrerlaubnis. Ein eigenes Auto hatte er nicht. An den Wochenenden nutzte er den Ford Focus seines Vaters. Am 14. Dezember 2008 kam er mit seiner Freundin aus Plessow, wollte nach Werder.

„Wir waren zum Kaffeetrinken eingeladen und hatten Zeit. Deshalb bin ich nicht besonders schnell gefahren“, beteuerte der junge Mann, der noch heute schwer an den Folgen des Unfalls trägt, vor Gericht. Kurz vor dem „Tannenhof“, den er da noch nicht als Weihnachtsbaumverkauf erkannte, sei ein vor ihm fahrender Kleintransporter nach links auf einen Parkplatz eingebogen. Er habe sein Tempo verringert. „In diesem Moment schrie meine Freundin: Pass auf“, erzählte Jonas J. unter Tränen. „Ich habe sofort eine Vollbremsung gemacht. Ein Mann rannte über die Straße. Die Frau, die ihm gefolgt sein muss, habe ich nicht gesehen.“ Eigentlich – so der Angeklagte – habe er dort überhaupt nicht mit Fußgängern gerechnet.

Laut Aussage eines Augenzeugen standen aber mindestens zehn Personen auf beiden Seiten der Landesstraße, auf der ein Tempolimit von 80 km/h galt. Er habe das Fahrzeug des Angeklagten auch erst im allerletzten Moment wahrgenommen. Ähnlich erging es einem weiteren – ebenfalls als Zeugen geladenen – Weihnachtsbaumkäufer. Nach dem Unglück wurde das Tempo hier auf 60 herabgesetzt.

Der Kfz-Sachverständige Karsten Laudin aus Beelitz rekonstruierte den Unfall im Auftrag der Staatsanwaltschaft. Er errechnete, Jonas J. sei 60 bis 66 Stundenkilometer schnell gewesen. Er habe 1,2 Sekunden vor der Kollision mit Luise L., die sich maximal 1,6 Meter auf der Straße befunden haben muss, zu bremsen begonnen. Eine Reaktionsverzögerung sei dem Angeklagten nicht nachzuweisen. „Er hätte den Unfall nur vermeiden können, wenn er deutlich langsamer gewesen wäre. Dafür lag aber kein Grund vor“, so der Gutachter. „Die Fußgängerin hätte den Ford eigentlich bemerken müssen. Es ist möglich, dass sowohl sie als auch der Angeklagte von dem abbiegenden Kleintransporter in ihrer Sicht beeinträchtigt wurden.“ Das Gericht sprach Jonas J. vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei. Es sah keine Verletzung der Sorgfaltspflicht.

Die Zufahrt zum Tannenhof war schon einmal Thema der Stadtverordneten von Werder: Vor zwei Jahren hatten sie die 20 Meter lange Auffahrt zum „Wanderweg“ erklärt, als der Landesbetrieb Straßenwesen eine öffentliche Widmung forderte. Laut Rechtslage sind Zufahrten von Landesstraßen im unbesiedelten Bereich genehmigungspflichtige „Sondernutzungen“ – vor allem, wenn sie zu einem Gewerbebetrieb führen. (*Namen geändert)

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