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Verteidigung: Brandenburg sei stolz auf seine Alleen, doch es gebe keinen Sorgfaltsmaßstab.

© M. Thomas/PNN-Archiv (Illustration)

Unfall in Stahnsdorf: Tod vom Baum

Willi K. kam in Stahnsdorf durch einen fallenden Ast ums Leben. Der Fall landet vor dem Amtsgericht Potsdam. Der zuständige Baumwart Karsten R. wird nicht verurteilt – aus gutem Grund.

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Stahnsdorf/Potsdam - Es war ein sonniger Maitag, völlig windstill. Ein solcher Alptraum war nicht absehbar: Willi K. fährt mit seinem Fahrrad die Wilhelm-Külz-Straße, eine Landesstraße, entlang. Ein kurzes Knirschen, plötzlich löst sich über dem Radweg ein 15 Kilogramm schwerer, angefaulter Ast von einem Ahornbaum und trifft den Rentner aus acht Metern Höhe. Schädelbruch, der 66-Jährige überlebt den Unfall nicht. Knapp ein Jahr ist das her. Am Mittwoch landete der Fall vor dem Potsdamer Amtsgericht, auf der Anklagebank: der zuständige Baumwart Karsten R.

Der Baum war selbst noch kaum am Leben

Der Spitzahorn in der Nähe des Stahnsdorfer Hofs war selbst kaum am Leben, die Krone gekappt. Es gab nur noch zwei einsame, dicke Äste. „Den Baum hätte ich schon vor Jahren gefällt“, sagte Baumsachverständiger Andreas Wüstenhagen im Amtsgericht. Abgestorbene Rinde, kaum Laub, große Schnittstellen als Eingangstor für Schädlinge, Aushöhlungen, in denen schon ein Specht lebte, Zunderschwamm und Austernseitling – Wüstenhagen sah viele Alarmzeichen. Der todbringende Ast war elf Zentimeter dick, 2,40 Meter lang. An einem Seitenästchen seien wenige Blätter gewesen, sonst gar kein Grün mehr, abgestorbene Rinde.

Doch nicht Wüstenhagen, der jährlich an Seminaren teilnimmt, drei Fachzeitschriften und „Bücher ohne Ende“ liest, sondern Karsten R. ist für die Begutachtung der Bäume in der Straßenmeisterei Michendorf zuständig und war deshalb der fahrlässigen Tötung angeklagt. Der wurde, man glaubt es kaum, zwei Tage für den Job geschult, für den es bis heute nicht mal eine Dienstanweisung gibt. Für den Tod Willi K.s, so sah es die Richterin und am Ende selbst der Staatsanwalt, kann er nicht verantwortlich gemacht werden. Der Freispruch war nachvollziehbar.

Baum Nr. 22 sollte im Herbst gefällt werden

Sagenhafte 10.000 Straßenbäume an Bundes- und Landesstraßen muss der Baumwart zweimal jährlich vom Boden aus in Augenschein nehmen, einmal mit Laub und einmal ohne im Winter. Für die, die er fällen lassen würde, muss er sich mit der Naturschutzbehörde und dem Landesbetrieb Straßenwesen bei Baumschauen abstimmen. Dabei ist das nicht mal sein eigentlicher Job: Er führt in der Straßenmeisterei eine Kolonne aus vier Leuten, die mit Grünpflege und Winterdienst beschäftigt ist. Sein Dienstvorgesetzter sprach von Mammutaufgaben, die R. gewissenhaft erledige. Jahrelang habe es nie Baumschäden auf seinen Strecken gegeben.

Den Unglücksbaum in der Wilhelm-Külz-Straße hatte R. am 8. Januar 2014 auf seiner Tour. Die Zeichen sah auch er, Nummer 22 gehörte zu den Kandidaten, die er zum Fällen im Herbst notierte. Die toten Äste sollten schon bei der turnusmäßigen Baumpflege im Mai abgesägt werden, nur Tage nach dem Unfall. Am 17. März war Karsten R. erneut vor Ort – mit Sachbearbeitern der Naturschutzbehörde und des Landesbetriebs. Alle stimmten zu, dass der Baum im Herbst fällt. Dass der Stamm noch standsicher war, bestätigte selbst der Sachverständige. Für die beiden Äste befand es auch das Baumschau-Team als ausreichend, die anstehenden Schnittarbeiten abzuwarten, ein tragischer Fehler mit mehreren Beteiligten. Denn es hätte auch die Möglichkeit gegeben, die Arbeiten augenblicklich zu veranlassen.

Personal massiv gekürzt

Aus professioneller Sicht gab es noch andere Fehleinschätzungen: Baumgutachter Wüstenhagen fragte sich etwa, zu welchem Zweck vor fünf Jahren die Krone gekappt wurde und was man damit retten wollte. Fachgerecht sei das nicht. Gefahr im Verzug sah er aber auch nicht.

Nach dem tragischen Tod von Willi K., dem ein ähnlicher, wenn auch nicht tödlicher Unfall an der B 2 bei Neuseddin vorangegangen war, sollen sich mehrere der 33 Straßenmeistereien weigern, die Baumkontrolle noch zu verantworten, wie es am Rande des Prozesses hieß. In den vergangenen Jahren soll das Personal ohnehin massiv zusammengestutzt worden sein. Aufmerksam wurde unter Kollegen registriert, dass sich Karsten R. selbst einen Rechtsanwalt – den renommierten Arbeitsrechtler Frank Hülsenbeck– besorgen und ihn auch bezahlen musste.

Karsten R. will nicht mehr Baumwart sein

Der fand in seinem Schlussplädoyer treffende Worte. Brandenburg sei stolz auf seine Alleen, doch es gebe in dem Bereich keinen Sorgfaltsmaßstab, nach dem mäßig qualifizierte Baumwarte entscheiden, wann und in welchem Zeitraum ein Baum zu fällen oder Totholz zu beseitigen ist. „Das Spannungsfeld zwischen Verkehrssicherheit und Umweltschutz darf nicht zulasten eines kleinen Mitarbeiters aufgelöst werden“, so Hülsebeck.

Karsten R. will, wie er im Amtsgericht bekannte, nicht länger Baumwart sein. Das Land soll jetzt immerhin an einer Dienstanweisung arbeiten und es werde, wie es am Mittwoch am Rande hieß, überlegt, die Arbeit an Profis zu vergeben.

Lesen Sie weiter: Diskussion um Baumschau in Stahnsdorf - Das Rathaus soll nach tödlichem Unfall reagieren >>

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