Aus dem GERICHTSSAAL: Tödlicher Fahrfehler
Pakistanerin nahm Lkw die Vorfahrt – weil sie sich reuig zeigte, kam sie mit einer Geldstrafe davon
Stand:
Beelitz – Die geplante Einkaufstour der Schwestern nach Treuenbrietzen endete tragisch. Ein auf die Gegenspur geratener Sattelschlepper prallte am Vormittag des 6. Oktober 2010 frontal in den Opel Astra der beiden Rentnerinnen. Der polnische Chauffeur hatte zuvor versucht, einem Pkw auszuweichen, dessen Fahrerin Naila N.* ihm in Buchholz (nahe Beelitz) beim Auffahren auf die B 2 die Vorfahrt genommen hatte. Dabei kollidierte er seitlich mit deren Auto, verlor danach die Kontrolle über sein Fahrzeug.
Für die 84-jährige Beifahrerin im Opel kam jede Hilfe zu spät. Sie verstarb noch am selben Tag an schweren Kopf- und inneren Verletzungen. Ihre Schwester am Steuer erlitt mehrere Rippenbrüche und eine Zertrümmerung des Sprunggelenks. Bis heute kann sie nur mühsam und unter Schmerzen laufen, benötigt Krücken oder den Rollstuhl.
Am Dienstag musste sich Naila N. (39) wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung vor dem Amtsgericht verantworten. Trotz der schrecklichen Folgen kam die Pakistanerin mit einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15 Euro (900 Euro) davon. Der Staatsanwalt sprach von einer Verkettung unglücklicher Umstände. „Wir haben das Maß der Pflichtwidrigkeit zu bewerten. Und das ist gering“, führte er aus. „Zudem ist ein Mitverschulden des Lkw-Fahrers nicht auszuschließen. Er hätte den Pkw der Angeklagten rechtzeitig sehen können.“
Amtsrichterin Kerstin Nitsche gab zu bedenken, dass auf die Angeklagte zudem „nicht unerhebliche Verfahrenskosten sowie zivilrechtliche Ansprüche zukommen“ werden. Naila N. – verheiratet, dreifache Mutter und Austrägerin von Werbeprospekten – leidet noch heute psychisch unter den Folgen ihres Fahrfehlers. Sie nimmt Antidepressiva, kann sich nicht mehr ans Steuer eines Autos setzen.
„Ich bin ganz vorsichtig gefahren, weil ich die Strecke nicht kannte“, erzählte die Frau mit dem Kopftuch. „Mein Navi hat gesagt, dass ich nach links auf die B 2 abbiegen muss.“ Nachdem sie ein kleines Stück über die Haltelinie gefahren sei, habe sie den vorfahrtsberechtigen Sattelschlepper bemerkt. „Ich habe sofort angehalten. Aber alles ging so schnell“, weinte Naila N. „Was passiert ist, tut mir sehr leid.“ Die Berlinerin wurde bei dem Unfall ebenfalls verletzt.
„Auf einmal kommt so ein großes Ding angefahren. Ich fragte mich, was will der bloß auf unserer Spur?“, erzählte Hannelore G. im Zeugenstand. Die Seniorin – sie feierte am Dienstag ihren 79. Geburtstag – lenkte den Opel Astra am Unglückstag. „Ich hatte keine Chance auszuweichen oder zu bremsen.“
Zwei Monate lag Hannelore G. im Krankenhaus, musste mehrfach operiert werden. Eine Reha schloss sich an. Sie versucht, die seelischen Folgen, besonders den Tod der Schwester, mithilfe eines Therapeuten zu verarbeiten. Die körperlichen Schmerzen bekämpft sie mit Medikamenten.
„Zwischen Blechschaden und tödlichem Ausgang liegen oft nur Millimeter“, so der Vertreter der Staatsanwaltschaft. „Die Angeklagte ist kein Verkehrsrowdy. Deshalb ist eine Geldstrafe angemessen.“ (*Name geändert.) Hoga
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