zum Hauptinhalt
Streiktransparent in Werder. Keiner verlässt den Betriebshof.

© Matthias Matern

Potsdam-Mittelmark: Überraschung am Morgen

Busausfall sorgte für Frust bei den Fahrgästen – und für Zuversicht auf Lohnzuwachs bei Busfahrern

Von Matthias Matern

Stand:

Region Teltow / Werder (Havel) – „Uncool, total uncool“ sei das mit dem Streik, findet ein junger Mann an der Bushaltestelle am Teltower Gesundheitszentrum, der noch immer auf die elektronische Anzeigetafel starrt. Dort huschen Leuchtbuchstaben vorüber: „Auf Grund eines Warnstreiks“ sei kein Busverkehr möglich, ist zu lesen. Mehr dazu sei im Internet zu erfahren. Es ist kurz nach sieben, die Taxis am Taxistand gegenüber, sie sind alle weg. Nervös fingert der junge Mann an seinem Handy.

Auch andere Fahrgäste versuchen, jemanden über Handy zu erreichen. Eine Frau, die nach Potsdam will, berichtet, sie habe ihren Mann aus dem Bett geklingelt, damit der sie zur Arbeit fährt. Eine andere kommt gerade aus der Nachtschicht. Vom Streik hat sie erfahren, als ihre Kollegin sich zur Schichtablösung verspätete. „Die war richtig sauer, weil sie mit dem Taxi aus Potsdam kommen musste.“ So viel Geld verdiene man hier nicht.

Die einzigen Busse an diesem Morgen auf Teltower Straßen kommen von der Berliner Verkehrsgesellschaft. Langsam rollt ein gelber Bus heran, dessen Endhaltestelle Bahnhof Wannsee ist. Der Bus ist voll, trotzdem lässt der Fahrer noch einige Leute zusteigen. Es wird eine Rundfahrt, die zweimal über den Teltowkanal und Kleinmachnower Siedlungsstraßen geht, ehe der Bus über Dreilinden und die Potsdamer Chaussee in Wannsee eintrifft. Von dort können die Fahrgäste Potsdam mit der S-Bahn erreichen.

Obwohl die meisten Fahrgäste von den festgefahrenen Tarifverhandlungen der Verkehrsgesellschaften schon gehört hatten, überrascht fast alle der morgendliche Busausfall und sorgt für Verärgerung. Einer der wenigen, die Bescheid wissen, ist der Teltower Martin Lenz. Frühmorgens hat er im Radio vom Streik gehört – und beschlossen, seine Fahrstrecke mit sechs Haltestellen zu Fuß zurückzulegen. Er nimmt den Morgen sportlich: „Bis jetzt hat mich noch keiner überholt.“

Rot-weiße Verdi-Fahnen künden am Eingang des Stahnsdorfer Betriebshofs der Havelbus vom Streik. 35 Busfahrer harren hier in der Filiale am Hamburger Ring aus. „Wir sind seit drei Uhr morgens zu hundert Prozent im Streik“, erklärt Streikposten Holger Schiffbauer. Bis 9 Uhr werde kein Bus das Depot verlassen, versichert er. Die Überraschung sei Absicht gewesen, auch für einige Kollegen, die erst kurz vor Dienstantritt davon erfuhren. „Der kommunale Arbeitgeber hatte genug Zeit, um auf unsere Forderungen einzugehen“, sagt Schiffbauer.

Er spricht von einem Reallohnverlust von 3,7 bis 6,7 Prozent in den letzten sechs Jahren – der Hauptgrund für den Warnstreik. Die Stimmung unter den Kollegen sei zuversichtlich, auch weil sich alle beteiligt hätten. „Die Fahrer werden ein dickes Fell haben müssen, wenn sie nachher wieder fahren“, räumt Schiffbauer ein.

Auch Falko Flemming, Schichtleiter bei der Beelitzer Verkehrs- und Servicegesellschaft am Standort Werder (Havel), rechnet mit verärgerten Fahrgästen. Seit 33 Jahren ist er Busfahrer. Es ist acht Uhr morgens. Zusammen mit rund 15 Kollegen sitzt er im Aufenthaltsraum im Betriebshof an der Otto-Lilienthal-Straße bei belegten Schrippen – Streikverpflegung von Verdi. Draußen am Bahnhof und an den Bushaltestellen herrscht gähnende Leere. Die meisten Fahrgäste haben wohl längst enttäuscht und verärgert das Handtuch geworfen. „Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass die Leute sauer sind“, sagt Flemming. „Aber wenn wir den Streik vorher ankündigen, können wir uns die Sache gleich klemmen.“ Die anderen nicken.

In den vergangenen Tagen hatte der Kommunale Arbeitgeberverband Brandenburg (KAV) die Forderungen der Bus- und Straßenbahnfahrer immer wieder als maßlos kritisiert. Dieter Schäfer, Geschäftsführer der Havelbus Verkehrsgesellschaft, zu der auch der Beelitzer Betrieb gehört, hatte zwar Verständnis für die Fahrer geäußert, aber auf die leeren Kassen der Havelbus verwiesen. Das lässt Flemming nicht gelten: „Für ein Gutachten zu einer möglichen Fusion mit den Potsdamer Verkehrsbetrieben wird ein Haufen Geld rausgeschmissen, aber für die Belegschaft ist nichts da.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })