
© B. Brede
Potsdam-Mittelmark: Übers Zeichnen zurück ins Leben
Wenn Alte Alten helfen: Durch ein Awo-Projekt erfüllt sich ein Teltower Witwer seinen Jugendtraum
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Teltow - Helmut Kreutzer ist ein stiller Mann. Wenn man ihm eine Frage stellt, denkt er lange nach, wägt ab, bevor er antwortet. Ganz ähnlich gehe er auch beim Zeichnen vor, erzählt die Kunsttherapeutin Bärbel Brede. Sie betreut den 74-Jährigen in dem Projekt „Junge Alte helfen alten Alten“ (Jaha), das die Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Teltow vor rund einem Jahr ins Leben rief. Etwa vier Stunden pro Woche verbringen jüngere Rentner dabei mit einem älteren Menschen, ehrenamtlich. Nicht immer geht es dabei um konkrete Hilfe, viele benötigen einfach Kontakt und Austausch.
Kennengelernt haben sich Helmut Kreutzer und seine zehn Jahre jüngere Begleiterin aber gar nicht über Jaha, sondern durch Zufall. Eines Tages hatte Kreutzer sich aus seiner Wohnung ausgeschlossen. Brede, die nur einen Block entfernt wohnt, traf ihn „ziemlich verwirrt“, wie sie sagt, auf dem Hof. Die Tür war bald geknackt und damit auch das erste Eis zwischen den beiden gebrochen. „Damals hatte Helmut gerade seine Frau verloren, die er lange gepflegt hat“, so Brede. Darunter habe er sehr gelitten.
Schließlich fragte sie ihn, ob er an ihrem Mal- und Zeichenkurs teilnehmen wolle. Kreutzer, der als junger Mann gerne Kunst studiert hätte, sagte sofort zu. Seine ersten Werke sind derzeit im Awo-Café in Teltow zu sehen. Neben einigen Stillleben ist auch ein Selbstportrait darunter: Die feine Bleistiftzeichnung lässt erkennen, wie vorsichtig Helmut Kreutzer sich an das eigene Gesicht herangewagt hat – dennoch ist die Zeichnung akribisch bis zur letzten Falte. Auch seinen etwas scheuen Blick hat der gutaussehende Mann getroffen. Seine Detailverliebtheit strapaziert allerdings manchmal Bredes Geduld. „Er könnte schon viel weiter sein mit dem Zeichnen, oft aber guckt er sich sein Motiv erst einmal lange nur an, oder er beobachtet, was die anderen Kursteilnehmer so machen“, erklärt sie. Auch bei dem Selbstportrait musste irgendwann sie den Anstoß geben, es zu beenden. „Ich lerne eben auch durch Zusehen“, sagt Kreutzer dazu. Dabei lächelt er still in sich hinein, seine Augen hinter der Brille aber blitzen.
Vor einigen Jahren hatte er einen Schlaganfall, das Zeichnen helfe ihm, sich wieder besser zu koordinieren, ist die Kunsterzieherin Brede überzeugt. „Als nächstes möchte ich mich an Farben heranwagen“, sagt Helmut Kreutzer. Bislang erschien ihm das zu schwer. Präzise zu arbeiten, das geht mit Bunt- oder Bleistiften eben leichter. Seine Begleiterin versucht schon lange, ihn dazu zu überreden. Sie will, dass er lockerer wird, sich beim Zeichnen auch mal kleine Unperfektionen erlaubt. Genau das aber fällt ihm schwer.
„Ich bin kein Mensch, der gut auf andere zugehen kann“, erklärt er seine Zurückhaltung in vielen Dingen. Die Freude darüber, nun endlich doch noch zur Kunst zurückgefunden zu haben, ist ihm aber anzumerken. Nach dem Krieg sei an den Besuch einer Kunsthochschule nicht zu denken gewesen: „Da musste ich erst einmal sehen, dass ich Geld verdiente“, sagt Kreutzer. Deshalb machte er zunächst eine Ausbildung zum technischen Zeichner, im Abendstudium qualifizierte er sich zum Ingenieur für Feinwerktechnik. Jetzt, als Rentner, hätte er eigentlich viel Zeit zu üben. „Aber er ist ständig unterwegs“, sagt Brede. „Weil ich viel zu Fuß erledige, ich laufe gerne“, antwortet Kreutzer. Beide achten darauf, dass ihre Freundschaft nicht zu eng wird. Jeder soll seine Freiräume behalten. Darum geht es schließlich auch bei Jaha: Möglichst lange selbstbestimmt zu leben, auch wenn die eigenen Kinder wenig Zeit haben. Der Bedarf ist groß und er wird weiter wachsen: Von den 22 000 Einwohnern Teltows sind rund 6 000 älter als 65 Jahre. Was fehlt, sind mehr ehrenamtliche Helfer. Auch die profitieren von Jaha. Bärbel Brede hat etwa herausgefunden, wie tatkräftig sie selbst ist. Sie kenne sich sonst als einen sehr geduldigen Menschen, der auf Ausgleich bedacht sei. Bei Kreutzer übernehme sie den forscheren Part. „Ich trieze ihn oft, schließlich ist er noch so jung, er könnte noch so viel erreichen.“
Zum ersten Treffen mit dem Kunstkurs brachte Kreutzer einen Mistelzweig mit, zusammen mir einem Granatapfel und einer Rose wurde ein Stillleben daraus, das heute Kreutzers Visitenkarten schmückt. Bärbel Brede hat sie für ihn am Computer gestaltet. Eigentlich hätte sie lieber, dass Helmut sich selbst einen Laptop zulegt. Durch seinen früheren Beruf kennt er sich sogar mit anspruchsvollen Grafikprogrammen aus. Er aber fürchtet, den Anschluss verloren zu haben. „Deshalb ermutige ich dich ja“, lacht Bärbel Brede.
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