Potsdam-Mittelmark: „Unangemessen und gefühlslos“
Die rechtswidrige Herausnahme zweier Kinder aus einer Pflegefamilie ist kein Einzelfall / Vorwürfe gegen Landratsamt mehren sich
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Potsdam-Mittelmark - Der Fall einer rechtswidrigen Herausnahme zweier Kinder aus einer Stahnsdorfer Pflegefamilie (PNN berichteten) ist offenbar nicht der erste, bei dem der zuständige Vormund des mittelmärkischen Jugendamtes unverhältnismäßig gehandelt und das Kindeswohl gefährdet hat.
Bereits 2002 wollte die gleiche Mitarbeiterin zwei Kinder aus einem Stahnsdorfer Kinderheim herausnehmen und in die leibliche Familie zurückführen, obwohl zuvor das Potsdamer Familiengericht angekündigt hatte, einen Verbleib der Kinder in dem Heim anzuordnen. Die Leitung des Heims erwirkte beim Gericht eine vorläufige Verfügung, so dass die Kinder in der Einrichtung bleiben konnten, in der sie zu diesem Zeitpunkt bereits drei Jahre betreut worden waren. Der damalige Richter bewertete die geplante Herausnahme der Kinder durch den Vormund des Jugendamtes als „sachlich durch nichts zu rechtfertigen“ und als eine Gefährdung des Kindeswohls in „erheblicher Weise“. Das Gericht sah bei den beiden Kindern angesichts ihres Alters und Entwicklungsstandes sowie ihrer Vorgeschichten eine „Erziehungssituation unter erschwerten Bedingungen, die eine entsprechende professionelle Vorgehensweise notwendig macht“. Diese Betreuung sah das Gericht durch das Stahnsdorfer Heim gewährleistet.
Für den Vormund und das mittelmärkische Jugendamt war der Richterspruch offenbar nicht von Bedeutung. Zwei Monate später forderten sie die Stahnsdorfer Heimleitung erneut auf, „die Kinder auf eine Entlassung vorzubereiten“. Mit einer eilig eingeholten Bestätigung des Familiengerichtes, dass „die einstweilige Anordnung nach wie vor in Kraft ist“ und die Kinder im Heim zu belassen sind, weigerte sich die Heimleitung, die Kinder herauszugeben. „Ich fühlte mich genötigt“, kommentiert Hermann Borreck, pädagogischer Leiter des Kinderheims, gegenüber den PNN den damaligen Vorgang. In seiner 30-jährigen Berufspraxis als Sozialarbeiter sei es ihm nie passiert, dass sich ein Vormund des Jugendamtes über Recht und Gesetz hinwegsetze und Gerichtsurteile ignoriere.
Auf Antrag der Heimleitung wurde der betreffende Vormund nach einem Beschluss des Potsdamer Amtsgerichts von der Amtspflegschaft für die beiden Kinder entbunden und durch einen Privatvormund ersetzt.
Der „Widerstand“ der Leitung des privat betriebenen Kinderheims sollte nicht ohne Folgen bleiben. Als Reaktion habe es durch Mitarbeiter des mittelmärkischen Jugendamtes „Diskriminierungen, Beleidigungen und Existenz bedrohende Unterstellungen“ und die Aufforderung gegeben, sich „künftig angepasst zu verhalten“.
Borrecks Erfahrungen decken sich mit denen, die zwei Stahnsdorfer Pflegeeltern Ende des vergangenen Jahres gemacht haben, als ihnen ihre zwei Pflegekinder durch den gleichen Vormund entrissen wurden. Der durch die Jugendamtsmitarbeiterin geäußerte Verdacht auf „Kindesmissbrauch in der Pflegefamilie“, mit dem die Maßnahme gerechtfertigt werden sollte, hat sich als völlig unbegründet erwiesen. Auch hier ordnete das Familiengericht die sofortige Rückkehr der Kinder in die Pflegefamilie an und bewertete das Vorgehen als völlig überzogen und rechtswidrig. Nach Anzeigen der Pflegeeltern Uwe Fuchs und Elke Born ermittelt inzwischen die Staatsanwaltschaft u.a. gegen den Vormund wegen Körperverletzung.
Wie die Pflegeeltern vermisste auch Borreck eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Vormund. Vielmehr versuche sie, „ihre Position durch ein „unangemessenes, aggressives, verletzendes und beleidigendes Auftreten durchzusetzen“.
Die Frage ist, ob der letztjährige Fall und die damit tatsächliche Gefährdung des Kindeswohls hätte vermieden werden können. Als zuständiger Dienstherr wusste Landrat Lothar Koch (SPD) bereits von dem rechtswidrigen Vorgehen seiner Mitarbeiterin im Jahr 2002. „Ich habe ihn mündlich und schriftlich von den Vorgängen in Kenntnis gesetzt“, so Heimleiter Borreck.
„Was waren die Konsequenzen?“, fragt sich nun Pflegevater Uwe Fuchs, nach den „wiederholten Willkürakten und Rechtsverstößen“. Spätestens nach dem von Fuchs an Koch persönlich adressierten Hilferuf unmittelbar nach der Herausnahme der Kinder durch den Vormund hätte der Landrat alarmiert sein müssen. „Das war offenbar nicht der Fall“ so Fuchs. So stellt sich Frage, ob es Kontrollmechanismen gibt und wie diese funktionieren. Die Praxis, dass ein Vormund gleichzeitig im Jugendamt arbeitet, besteht zwar nicht nur in Potsdam-Mittelmark, wird von Experten jedoch kritisiert. Auch das brandenburgische Sozialministerium nennt die Konstellation „unglücklich“.
Den von Fuchs und Born erhobenen Vorwurf, der Landrat lege offenbar keinen Wert darauf zu verhindern, dass sich derartige Fälle wiederholen, weist Koch zurück. In der Vergangenheit seien Hinweise auf Kindesmissbrauch und Kindeswohlgefährdung nicht immer „wirklich aufgegriffen und aufgenommen worden“, weshalb seine Fachbehörde auch negative Erfahrungen gemacht habe, so dass man zukünftig frühzeitig handeln, juristischen und fachlichen Sachverstand einholen wolle. Im konkreten Fall schreibt Koch: „Unsere Untersuchung hat ergeben, dass die rechtswidrige Handlung aus Fehleinschätzungen resultierte und dass der Landkreis alles tut, um Wiederholungen zukünftig zu vermeiden.“
Zumindest in der Vergangenheit ist das – wie die zwei Stahnsdorfer Fälle belegen – nicht gelungen. Und von erneuten Differenzen mit der gleichen Mitarbeiterin berichtete den PNN gestern ein Kleinmachnower, der sich um das Sorgerecht für seine Enkel bemüht. Zwar entschied hier das Familiengericht am vergangenen Freitag, die Kinder bei der Mutter zu belassen, um den bestehenden Loyalitätskonflikt nicht weiter zu schüren. Doch über das Agieren des Vormundes kann sich der Kleinmachnower nur wundern. Sie sei „kühl, ablehnend, gefühlslos und handelt völlig übertrieben“.
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