KulTOUR: Unbeholfene Zärtlichkeit
Steinbecks „Von Mäusen und Menschen“ an der Kleinen Bühne in Michendorf
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Michendorf - Echte Theaterstücke unterscheiden sich von allen anderen in einem Punkt. Sie stürzen die handelnden Figuren in absolut unlösbare Situationen, sodass jeder Ausweg immer nur Fehler, Katastrophe sein kann und muss. Im altgriechischen Theater war dieser ästhetische Anspruch noch Standard, nach Shakespeare ebbte das rapide ab. Dem US-amerikanischen Autor deutsch-irischer Herkunft John Steinbeck (1902-1968) gelang es trotzdem, besagtes Ideal mit seinem Schauspiel „Von Mäusen und Menschen“ noch einmal zu erproben. Unabgesprochen ist die Bühnenadaption des gleichnamigen Romans von 1937 derzeit an der Kleinen Bühne Michendorf und am Potsdamer HOT zu sehen.
Der Stoff beruht auf eigenem Erleben des späteren Literaturnobelpreis-Trägers, als er in den Dreißigern die Züge armer Wanderarbeiter von Oklahoma Richtung Westen mitverfolgte und dabei auch auf eine Figur wie den geistig zurückgebliebenen Lennie stieß. Da sowohl die Geschichte als auch jede ihrer Figuren äußerst komplex angelegt sind, wird kein Regisseur davon verschont, eigene Akzente zu setzen. Konnte es Siegfried Patzer bei der freitäglichen Premiere in Michendorf auch?
Von der Wirkung her war diese zweistündige Guckkasten-Inszenierung ein Erfolg, den sich freilich nur wenige der meist professionellen Schauspieler teilten: Mit Nebenfiguren wie Carlson oder Slim (Paul Barrett, Hendrik Seibert) hatte es die Regie wohl nicht so. Steinbeck erzählt von dem ungleichen Paar Lennie und seinem Freund und Beschützer George, der auf ihn aufpasst, denn der infantile Kraftprotz weiß mit seinem guten Herzen oft nicht, was er tut. Er streichelt gern alles, was weich ist, und brachte mit ungelenken Händen dergestalt schon manches Wesen um sein Leben.
Auf Curleys Farm braut sich dann das Unheil zusammen, woran dieser keinen geringen Anteil hat. Warum bändelt die vereinsamte, liebeshungrige Miss Curley (Manuela Heyn) auch mit den Arbeitern an! Jede Figur steht vor einem ausweglosen Lebensproblem, nur sieht man in dieser Inszenierung davon nicht viel. George hält an Lennie fest, weil er weiß, wie die Einsamkeit Männer verdirbt. Curley hat Grund genug für die Eifersucht, seine Frau träumt von Hollywood, und überhaupt wird hier eine Zeit vorgeführt, wo Anstand und Moral noch etwas galten. Koketterie konnte da rasch als flittchenhaft gedeutet werden.
Siegfried Patzer hat sich im selbst erdachten, sehr opulenten Bühnenbild (lange Umbaupausen) ganz auf die beiden Protagonisten konzentriert und dabei sowohl ihre Gegenspieler wie auch die Nebenfiguren vernachlässigt. Thomas Linz als Lennie gibt die einzig überzeugende Figur im Spiel, ganz intensiv, ganz von innen heraus, größten Respekt.
Den anderen fehlt es an Profil oder Untertext. Warum stelzt dieser Cowboytyp Curley (Andreas Linck) so ungelenk über die Bühne, warum quält Manuela Heyn ihre Stimme ohne innere Teilnahme, auch Marcus-Hagen Heinemann als George spielt nur von außen nach innen. Sehenswert Wolfgang Gnauck als Candy. Warum aber hat man aus dem schwarzen Stallknecht (!) Crooks (Oliver Sage) einen intellektuellen Typus gemacht?
Kein Meisterwerk also diesmal, weder in der Figurenführung noch in der Auslotung wichtiger Situationen, bis zur ungelösten Finalszene. Da ist vieles noch zu tun. Die unbestreitbare Wirkung der Aufführung ist derzeit wohl John Steinbeck mehr zu danken als dem Ensemble. Gerold Paul
Nächste Vorstellungen an allen Mai-Wochenenden, Fr. und Sa. 19.30 Uhr, So. 17 Uhr, Potsdamer Straße 42
Gerold Paul
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