KulTOUR: „Unbekümmert geht der Fremde davon“
Gedenkveranstaltung zum 30. Todestag Peter Huchels thematisierte Dichterfreundschaft zu Kundera
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Michendorf - „Jahreszeiten, Mißgeschicke, Nekrologe – / unbekümmert geht der Fremde davon“, schrieb Peter Huchel in seinem Gedichtband „Die neunte Stunde“. 1971 verließ er seinen Heimatort Wilhelmshorst mit einem Pass für zehn Jahre in Richtung Süden und dann Westen, genau am Ende dieser abgezählten Zeit starb er nach langem Leiden im fremd gebliebenen Breisgau. Das ist nun schon wieder drei Dezennien her.
Einmal im Jahr widmet das literarische Peter-Huchel-Haus seinem Namenspatron eine eigene Veranstaltung, denn noch immer ist „das letzte Wort“ ja nicht gesprochen, noch immer kennt niemand des Fremden „Geheimnis“. Am Dienstag also war die 90-minütige Gedenk-Veranstaltung im Hubertusweg bis auf den letzten Platz ausverkauft und in der Ausführung auch ganz passabel.
Eduard Schreiber und Hans Dieter Zimmermann informierten in mehr oder weniger lockerer Form über Peter Huchels Dichterfreundschaft zum tschechischen Poeten Ludvik Kundera, den er seit 1954 kannte, ein Vetter des Schriftstellers Milan Kundera. In ihrer Mitte der bewährte Hans-Jochen Röhrig als Interpret ihrer Verse. Zuerst hörte man ziemlich düstere Widmungsgedichte von Huchel an Ernst Bloch, Hans Henny Jahnn und andere. Dann von seiner Vorliebe für die böhmisch-mährischen Dichter-Kollegen im Allgemeinen und von Ludvik Kundera, seinem „einzigen Freund in schweren Jahren“, ganz besonders. Vielleicht waren die beiden deshalb so sehr verbunden, weil sie fast identische Probleme mit der Staatsmacht bekamen und im „großen Hof des Gedächtnisses“ (Augustinus) einander halfen, so gut es eben nur ging.
Nachdem Eduard Schreiber dies alles mit Daten, Ort- und Landschaften erklärt und Hans-Jochen Röhrig die vielfach bekannten Huchel-Gedichte vom „Caputher Heuweg“ bis zum „Abschied von den Hirten“ viel zu schwermütig vorgetragen hatte, widmete sich der Literaturwissenschaftler Hans Dieter Zimmermann jenem Ludvik Kundera, der im Herbst 06 mit seinem Kollegen Frantisek Listopad hier im Huchel-Haus für wohldurchlüftete Fröhlichkeit gesorgt hatte.
Voriges Jahr im Sommer verstorben, war er nicht nur ein deutschsprachiger Dichter mit österreichisch-tschechisch-ungarischer k.u.k.-Vergangenheit, nein, er reiste sogar mal ins „el do Ra Da (da)“ – und das noch als Surrealist! Man merkte es dem Rezitator wie auch dem Publikum an, wie solche Leichtigkeit des Seins den themenschweren Abend immer mehr auflockerte.
Er schrieb Gedichte auf die sieben Fälle („Lokativ? verdächtiges Lokal!“) der tschechischen Sprache, fand ganz „Einfache Sätze“ für gute Poesie und berichtete von Orten, an denen er niemals war. Zudem war in seinen geräumigen Dichtungen sogar noch Platz für wohlvertraute Namen wie Kunert und Bobrowski, Fühmann und Cibulka. Toll, wenn Literatur auch so etwas kann. Was aber kann so ein Peter-Huchel-Gedächtnis-Abend, den man halt nur über die Peter-Huchel-Allee erreicht? Neben freundlicher Gelehrsamkeit und Poesie sollte er sich doch zuallererst seiner Produktivität vergewissern.
Wenn der Fremde, jenseits von Missgeschick und Zeit, wirklich gegangen ist, bleibt doch zuerst ein Abstand. Huchel hat bekanntlich die Landschaft geliebt, nicht Wilhelmshorst, und dieser „Sandbüchsenort“ (Kundera) wollte auch ihn nicht, vergessen? Das letzte Wort ist also noch immer nicht gesprochen, nicht mal gesucht. Man hat es sich einfach schön gemütlich gemacht, in Peter Huchels heilloser Welt.
Gerold Paul
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