KulTOUR: Ur-Berliner aus Sachsen
Gedenkfeier zum 150. Zille-Geburtstag
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Stahnsdorf - Einem Toten soll man bekanntlich nichts Schlechtes nachsagen. Bei Heinrich Zille, dessen 150. Geburtstag man derzeit feiert, wäre das vielleicht auch kaum möglich, er muss „ein guter Mensch“ gewesen sein. Als „Inkarnation des Berliners“ verehrt, vom Volk geliebt, von den Nachkommenden hoch geachtet. Am Samstag versammelte sich eine große Schar von Menschen in der Stabholzkirche des Stahnsdorfer Südwestkirchhofes, um des legendären „Pinselheinrichs“ zu gedenken. Friedhofs-Manager Olaf Ihlefeld und Thomas Marin vom Förderverein hatten ein kleines Programm zusammengestellt, um in Wort, Bild und Ton an diesen sonderbaren Mann zu erinnern.
Obgleich man in ihm nur zu gern die Verkörperung des „Urberliners“ sehen möchte, stammte Heinrich Zille – na? – ausgerechnet aus Sachsen, wo er 1858 als Sohn eines Uhrmachers geboren wurde. 1867 führte sein Weg von Radeburg (nördlich von Dresden) direkt nach Berlin, in eine sehr desolate Kellerwohnung. Sein Vater wollte einen ordentlichen Beruf für seinen Sprössling, doch schon der erste tote Hammel überzeugte alle restlos, dass die Metzgerei Heinrichs Sache nicht war. Er sagte „Ich möchte immer nur zeichnen!“ So ging er bei einem Lithographen in die Lehre, war lange Zeit als „Gebrauchsgraphiker“ tätig. Ab 1907 wurde er „freier Künstler“. Als solcher fing er das Berliner „Volksleben“ des Ostens ein, nicht selten mit deutlich erotischen Avancen. 1913 erschien ein Sammelband mit dem Titel „Mein Milljöh“, weitere Werkbücher folgten Mitte der 20er Jahre. Er hatte mit der alten und der Neuen Sezession zu tun, fand Freunde und Feinde, doch erst nach dem 1. Weltkrieg wurde er zu dem, was bis heute tradiert ist: Olle Pinsel-Heinrich, wie man ihn ehrt und schätzt.
Erstaunlich, wie 2000 Leute bei seiner Beerdigung 1929 auf jenem engen Weg auf dem Südwestkirchhof Platz gefunden haben, Honoratioren, Freunde, viel Berliner Volk. Bei der kurzen und stillen Ehrung, die am Samstag mit wenigen Worten und einem schönen Blumengesteck vollzogen wurde, waren vielleicht sechzig Gäste von der Stabholzkirche mit herübergekommen, auch nicht wenig. Man sprach über ihn, fragte, bestaunte die gut gepflegte, von zwei Rhododendrenbüschen umfasste Anlage, massiver Stein mit dem markanten Porträt-Relief von August Kraus. Noch posthume gilt Zille als „das soziale Gewissen Berlins“, ein Mann, der das Volk verstand, dieses ihn. Ein Mann voller Mitgefühl mit den Ausgegrenzten und Armen, den Kindern, den Deklassierten und Verkommenen jener „goldenen“ Gesellschaft. „So einen könnten wir heute gut brauchen“, meinte Olaf Ihlefeld in seiner kleinen Laudatio. War er „Humorist“ oder mehr als das, nur Zeichner oder Künstler? Wo so einer ist, positioniert sich die Meinung. Liebermann, Mühsam, die Walldorf, Tucholsky, alle hatten viel über den Zigarren rauchenden Rauschebart zu sagen. „Vater Zille“ nannte man ihn ehrfruchtsvoll, das hält. Nach der eher unaufwendigen Ehrung am Samstag pilgerte man noch ein wenig über den weitläufigen Friedhof. „Wo geht es hier zu Zilles Grab?“, fragte einer. Er gehörte nicht zu den Gästen, es war ein anderer Pilger. Gerold Paul
Gerold Paul
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