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Potsdam-Mittelmark: Verlorene Spuren

Noch immer suchen Seehofer Belege für die Siedlungsgeschäfte der jüdischen Sabersky-Familie. Vor Jahren landeten die Parzellierungsverträge auf dem Müll

Noch immer suchen Seehofer Belege für die Siedlungsgeschäfte der jüdischen Sabersky-Familie. Vor Jahren landeten die Parzellierungsverträge auf dem Müll Von Peter Könnicke Teltow. Die Bilderrahmen sind leer. Wo sonst die Teltower PDS in Bilderausstellungen die Geschichte der Stadt dokumentiert, ist derzeit nicht zu sehen. Alles schwarz. Genauso sieht eine ältere Dame, die am Tisch sitzt und immer wieder den Kopf schüttelt: „Das bringt doch alles nichts“. Die Frau ist zu einer Bürgersprechstunde gekommen, zu der die Teltower PDS-Stadtverordnete Traute Herrmann eingeladen hat. Nachdem des Bundesverwaltungsgericht im vergangenen November urteilte, dass in Teltow–Seehof den Erben der jüdischen Sabersky-Familie zwei Grundstücke zurückzugeben sind, hat die 75-Jährige „nächtelang nicht geschlafen“. Jetzt hat sie an die Schwarzen Bretter in Seehof Zettel gehängt und alle eingeladen, die durch das exemplarische Urteil um Haus und Hof fürchten. Das sind viele: Für etwa 700 Grundstücke ist bislang die Frage nicht geklärt, ob die Ansprüche der jüdischen Erben berechtigt sind oder ob sie für die derzeitigen Nutzer endlich frei verfügbar sind. Nicht alle sind in Hermanns Sprechstunde gekommen. Aber es sind so viele, dass das PDS-Büro in der Potsdamer Straße rappelvoll ist und die Stühle nicht ausreichen. Traute Herrmann lebt seit 25 Jahren in der Sabersky-Allee. Die Hälfte der Zeit hat sie damit verbracht, in der Geschichte des Ortsteils nach Belegen zu graben, die den Argumenten der Sabersky-Erben und ihrer Anwälte widersprechen, das Land in Seehof sei nur unter dem Verfolgungsdruck der Nationalsozialisten verkauft worden. „Bis heute werde ich als Antisemit beschimpft“, sagt Herrmann. „Das stört mich nicht, wenn ich den Leuten in Seehof helfen kann.“ Das ist seit vergangenem November schwieriger geworden. Das Urteil der Bundesrichter gibt den Sabersky-Erben Recht. Das höchste deutsche Gericht sah es als erwiesen, dass die Sabersky-Familie ihren Besitz wegen der drohenden Juden-Verfolgung parzellierte, unter Wert verkaufte und über den Erlös nicht frei verfügen konnte. Für etliche Seehofer wird der Richterspruch Anlass sein, auf die neuesten Vergleichsofferten, die von den Sabersky-Anwälten gemacht werden, einzugehen: Sie werden es knirschend ein „Lösegeld“ nennen und sich einem „politischen Urteil“ beugen, wie sie es nennen. Andere wiederum fragen, wovon sie die mehreren tausend Euro Ablöse bezahlen sollen. „Keine Bank gewährt uns einen Kredit“, beschreiben sie einen Teufelskreis. Denn ein von Restitution belastetes Grundstück kommt für keinen Banker als Sicherheit in Frage. Geschichte entsorgt Auch Traute Hermann hält den Leipziger Gerichtsentscheid für ein Fehlurteil. „Wir dürfen jetzt nicht still halten“, mahnt sie am Tisch des kleinen PDS-Büros. Nicht wenige Teltower haben in ihren Schränken Annoncen alter Berliner Tageszeitungen, in denen der Verkauf von Bauland von Seehof inseriert ist. „In Berlin arbeiten. In Seehof leben“ – so der Tenor der damaligen Anzeigen, mit denen die jüdischen Kaufleute warben. Auch Ingrid Gerhardt hat in einem Ordner etliche dieser zeithistorischen Dokumente, die für sie Indiz sind, dass die Saberskys bereits vor der NS-Zeit die Absicht hatten, Seehof zu parzellieren. „Wenn es Kartenmaterial der damaligen Zeit gebe, ließe sich das beweisen“, sucht Traute Hermann nach einem Strohhalm. Vielleicht sind Anfang der 1990er Jahre hilfreiche Aufzeichnungen und ein Stück bedeutungsvoller Geschichte auf dem Müll gelandet. Als nach der Wende Teltows scheidender Bürgermeister Manfred Graulich seinem Nachfolger Valentin Groth die Amtsgeschäfte übergab, bekam der neue Stadtchef auch die Obhut über eine Sammlung bedeutender Dokumente der Stadt. In dem Panzerschrank befanden sich neben wichtigen Bauunterlagen auch sämtliche Parzellierungsverträge aus der Sabersky-Ära für Teltow-Seehof. Wahrscheinlich hat sich Groth nie für den geschichtsträchtigen Inhalt interessiert, noch Notiz davon genommen. Anders ist es nicht zu erklären, dass er den Panzerschrank samt Akten von der Müllabfuhr entsorgen haben lassen soll, nur weil der Schlüssel nicht mehr auffindbar war. Mitarbeiter der Stadtverwaltung, die dem damaligen Bürgermeister problemlos über den wichtigen Inhalt des Schrankes hätten informieren können – wie der einstige Stadtbaudirektor Mesecke – sind über die Entsorgung nie informiert worden. Als das Fehlen des Materials bemerkt wurde, soll ein Aufschrei durchs Stadthaus gegangen sein: „Das ist doch Wahnsinn“. Es ist reine Spekulation, ob bei Vorlage der alten Parzellierungspläne die Verhandlung am Bundesverwaltungsgericht einen anderen Verlauf genommen hätte. Die Begründung der Richter ist vielschichtig und eindeutig. Daher ist Teltows Bürgermeister Thomas Schmidt (SPD) skeptisch, ob eine Beschwerde über das Urteil sinnvoll ist und Erfolgsaussichten hat. Vielmehr bemüht sich der Bürgermeister um Gespräche mit allen Beteiligten und den Spitzen der Landesregierung, um eine für alle verträgliche Lösung zu finden. In Brandenburgs Staatskanzlei fand er bereits Gehör. Dort liegt auch ein Brief, den Ingrid Gerhardt an Landesvater Platzeck geschrieben hat. Auch dem Bundeskanzler hat sie ihre Sorgen mit der Post geschickt. Und in einem Brief an Valerie Sonnentahl, die mit ihrem Bruder fast die Hälfte der Ansprüche in Teltow-Seehof stellt, hat sie gefragt, ob man Seelenfrieden findet, wenn es über das Unglück anderer Menschen geschieht. Eine Antwort hat sie noch nicht. Doch das Symbol auf dem Aktenordner, in dem Ingrid Gerhardt alle Schriftstücke über Seehof sammelt, verrät ihre Hoffnung auf ein gutes Ende. Es ist ein Kleeblatt, vierblättrig und grün.

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