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Potsdam-Mittelmark: Verräterische Blutspuren ?
Er hat seinen Finger verloren und sie glauben ihm nicht: Im Betrugsprozess gegen den Fichtenwalder Zahnarzt Marcus B. kommen neue Fragen auf
Stand:
Fichtenwalde/Potsdam - Im Gerichtsprozess gegen den des Versicherungsbetrugs verdächtigten Zahnarzt aus Fichtenwalde gerät der Angeklagte unter Druck. Am Dienstag wurde das Verfahren gegen Marcus B. im Amtsgericht Potsdam fortgesetzt. Ein Rechtsmediziner und ein Kriminalbiologe bezweifelten dabei die Tatversion des Angeklagten. Auch die Aussagen anderer Zeugen, unter anderem einer Allgemeinärztin aus Fichtenwalde und eines Rettungsarztes, warfen neue Fragen auf.
Die Aussagen der Gutachter und Zeugen stützen immer mehr den Verdacht der Staatsanwaltschaft. Sie wirft B. vor, eine Straftat vorgetäuscht zu haben. Um seine Versicherung zu betrügen, soll er sich im März vergangenen Jahres seinen linken Zeigefinger abgeschnitten haben. Es geht um insgesamt 850 000 Euro. B. beteuert, Opfer eines brutalen Raubüberfalls geworden zu sein. Zwei Männer hätten ihn in seiner Praxis überfallen, sie verlangten Geld, Gold und Medikamente. Als er ihnen das nicht geben konnte, drückten sie die Schere zu und verschwanden mit Finger und Werkzeug.
Bis heute ist der Finger nicht gefunden, auch von der Schere und den Räubern fehlt bislang jede Spur.
Am Dienstag schien nun den vom Gericht berufenen Sachverständigen auffällig, dass nach dem vermeintlichen Überfall nur wenige Blutspuren in der Zahnarztpraxis gefunden wurden. Das gilt besonders für die Fußmatte hinter dem Empfangstresen. Dort sollen die Räuber den Finger abgetrennt haben. In einem Experiment hatte der Kriminalbiologe deshalb die vermeintliche Tat nachgestellt, um die Flugbahn der Bluttropfen vom Fingerstumpf auf den Boden zu berechnen. Demnach entsprechen die gefundenen Blutmuster nicht denen einer arteriellen Blutung, wie sie beim Abschneiden des Fingers zu erwarten gewesen wären. Viel mehr sei das Blut aus dem nach unten gehaltenen Fingerstumpf auf den Boden getropft.
Auch der am Tattag gerufene Rettungsarzt konnte sich im Amtsgericht noch gut an den Fall erinnern. Er habe B.s Wunde versorgt. „Er war nicht wesentlich schockiert, aber man hat eindeutig gesehen, dass er ein traumatisches Erlebnis hinter sich hatte“, so der Rettungsarzt. Ihm sei aber aufgefallen, dass der verletzte Zahnarzt nur wenig Blut verloren habe. „Es war eine glatte Wunde, sie hat nur minimal geblutet.“ Dem Rettungsarzt schien das ungewöhnlich. „Am Finger gibt es zwei Arterien“, werden die getrennt, „kann man gucken, wie das rausspritzt“.
Das allein ist jedoch noch kein Beweis für eine Schuld, da laut Rechtsmediziner beide Versionen denkbar sind: Rein technisch könne sich B. den Finger selbst abgeschnitten haben oder er wurde ihm abgeschnitten. Auch wie sehr eine solche Wunde blute, könne von Mensch zu Mensch unterschiedlich sein. Deshalb wird es nun kompliziert.
Marcus B. hatte angegeben, ihm sei in der Praxis hinter dem Empfangstresen der Finger abgeschnitten worden. Als die Täter weg waren, habe er seine Wunde im Bad gewaschen und sich im Behandlungszimmer Schmerzmittel in den Fingerstumpf gespritzt. Danach sei er zum Tresen zurückkehrt, um die Rettungskräfte zu rufen. Die gefundenen Blutspuren lassen jedoch darauf schließen, dass zwischen Schnitt und Anruf mehrere Minuten vergangen sein müssen.
Das wissen die Gutachter, weil ein Teil des Blutes auf dem Boden bereits angetrocknet war, als Marcus. B. wieder hineintrat. Laut Aussagen des bestellten Rechtsmediziners müssten zwischen dem Schnitt und dem Tritt in die Blutlache etwa zehn Minuten vergangen sein.
Zudem ist bereits seit dem ersten Verhandlungstag klar, dass das auf der Fußmatte gefundene Blut ein Schmerzmittel enthielt: genau das Medikament, dass sich B. selbst in den Stumpf gespritzt haben will. Allerdings wurde in den untersuchten Blutproben von der Matte kein Tropfen gefunden, der nicht mit dem Schmerzmittel vermischt war. B. könnte den Finger schon vorher betäubt haben.
Alles zusammen – das wenige Blut, die vergangene Zeit und das gefundene Schmerzmittel – haben neue Fragen aufkommen lassen. Und nicht nur das: Im gleichen Haus, auf der gleichen Etage, nur wenige Schritte von seiner Praxis entfernt, hätte sich der Zahnarzt am Tattag in seiner Not an eine Allgemeinärztin wenden können. Seit 16.30 Uhr hatte sie ihre Praxis geöffnet, trotzdem rief B. um 16.33 Uhr die Rettungskräfte an und schleppte sich verletzt die Treppen hinunter in einen Supermarkt. Laut Staatsanwaltschaft habe er wissen müssen, dass in der Nachbarpraxis ausreichend Verbandsmaterial vorhanden war. Auch habe er wissen können, dass die Praxis geöffnet war. Jeden Tag sei er auf dem Weg zu seiner Wohnung im selben Haus am Werbeschild der Praxis vorbeigelaufen.
Am Freitag wird die Verhandlung fortgesetzt.
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