Von Beatrice George: Vollbart und Trabbi

Beelitz - Der Weihnachtsmann wohnt in einem Einfamilienhaus unter Tannen und Kiefern in Fichtenwalde. Jedes Jahr Ende November vergisst der 69-jährige Albert Niemeyer sein Rentner-Dasein und wird zum himmlischen Boten mit Gewerbeschein. Komplett in Rot gekleidet, mit echtem Rauschebart, einer Messingglocke, einem kunstvoll genähten Geschenkesack und einer Rute aus Zweigen setzt er sich in seinen knallrot lackierten Trabant und versucht, im Landkreis Potsdam-Mittelmark den Geist der Weihnacht zu verbreiten.

„Das ist heute nicht mehr so einfach wie früher“, sagt Niemeyer. Die Menschen seien viel zu sehr in Hektik und nur wenige Eltern vermittelten ihren Kinder weihnachtliche Stimmung. „Von etwa 50 Kindern können heute allenfalls noch vier ein richtig schönes Weihnachts gedicht aufsagen“, betont Niemeyer.

Seit fünf Jahren wird er in der Adventszeit von einem Werderaner Einkaufszentrum engagiert. Dort geht er herum, verschenkt Süßigkeiten an die Kinder und singt mit ihnen Weihnachtslieder, die er eigenhändig auf einer Ziehharmonika begleitet. Seit seinem Debüt als 15-jähriger Weihnachtsmann im Jahr 1953 will er schon über zwei Millionen Kinder erfreut haben.

Während Niemeyer seine Adventseinsätze selbst organisiert, vermitteln in Berlin und Brandenburg insgesamt neun Agenturen pro Saison über 5000 Besuche von Leih-Weihnachtsmännern in Familien, auf Märkten und zu Feiern, wie Petra Henkert aus Zeuthen sagt. Sie tritt nicht nur als Weihnachtsfee auf, sondern koordiniert auch das in diesem Jahr entstandene regionale Netzwerk der Weihnachtsmann-Agenturen, das sich bundesweit vergrößern will.

Neu ist auch der Ehrenkodex, an den sich alle von den Agenturen vermittelten Nikoläuse, Santa Clause und Weihnachtsmänner halten müssen: „Rauchen, trinken und fluchen ist tabu“, sagt Petra Henkert. Stattdessen sollen die Darsteller Harmonie, Güte und Geduld ausstrahlen. Und auch das Outfit muss stimmen: Auf alle Fälle in Rot, aus Samt, Stoff oder Plüsch. Stiefel, Bart, Perücke, ein Jutesack und ein goldenes Buch gehören dazu. Ein zünftiger Weihnachtsmann müsse da zunächst mehrere hundert Euro ins Equipment investieren, sagt Henkert.

Dafür will die Weihnachtsfee, die selbst eine Agentur leitet, „Lobbyarbeit für die Weihnachtsmänner“ leisten. Henkert: „Unsere Kunden erwarten viel von einem Weihnachtsmann-Darsteller, aber viele erwarten dafür einen Spottpreis.“ Je nach Aufwand des Einsatzes vermieten die Agenturen ihre Weihnachtsmänner nicht unter 50 Euro die Stunde. Das Rollen-Angebot reiche vom traditionellen deutschen Weihnachtsmann im roten Mantel mit Kordel bis zum amerikanischen Pendant, das mit einer großen Glocke und „Ho, ho, ho“-Rufen daher kommt. Einen Typus kann auch Petra Henkert äußerst schwer vermitteln: „Die wenigsten unserer Darsteller haben einen echten Bart“, bedauert sie.

Der graubärtige Albert Niemeyer ist in dieser Hinsicht also ein seltenes Weihnachtsmann-Exemplar. Über die Jahrzehnte hat er seinen eigenen Ehrenkodex entwickelt – ähnlich dem des Netzwerkes: „Den Kindern soll die Illusion vom Weihnachtsmann erhalten bleiben, die Adventszeit soll besinnlich, friedlich und voller Liebe sein“, sagt Niemeyer. Sein schönster Lohn dafür: strahlende Kinderaugen. Dabei hatte er selbst gewaltige Angst, als er als 14-Jähriger erstmals dem Weihnachtsmann begegnete. „Damals kannten wir nur Christengel“, erinnert er sich. Er arbeitete als Knecht auf einem Bauernhof bei Schwerin. „Ich wusste nicht, wie mir geschah, als mir der bärtige Mann auftrug, netter zu den Milchkühen zu sein und noch härter zu arbeiten.“ Fasziniert hat es ihn dennoch. Bis heute. ddp

Beatrice George