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Potsdam-Mittelmark: Vom Fernweh getrieben

Ruth Werner aus Stahnsdorf zog viele Jahre durch Länder der Dritten Welt

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Teltow - Einen sicheren Job fürs Leben hätte Ruth Werner haben können – wollte sie aber nie. Statt dessen wechselte sie ihre Arbeitsplätze so oft wie die Länder, in denen sie lebte. Denn ihr Fernweh war groß und Köln für die damals 29-Jährige zu klein. „Es war Abenteuerlust und keineswegs missionarischer Eifer“, bekannte die heute 71-jährige Stahnsdorferin kürzlich, als sie über ihr Leben in der Dritten Welt bei einem Dia-Vortrag berichtete. Aufmerksame Zuhörer waren rund 50 Teilnehmer der Akademie 2. Lebenshälfte, die Ruth Werner vor allem als Englisch-Dozentin kennen. Das Fach Englisch sei in der Schule nicht gerade ihr Lieblingsfach gewesen, so Ruth Werner, die Naturwissenschaften hätten ihr mehr gelegen. Doch in einem fremden Land lerne man schnell die andere Sprache und bei ihr habe es ein halbes Jahr gedauert, um auch in Englisch denken zu können.

Das war in Nigeria, wo Englisch Amtssprache ist und Ruth Werner im September 1964 als Laborantin an der Universität Lagos begann. Bevor sie einen Zwei-Jahresvertrag erhielt, schickte sie Bewerbungen nach Afrika. „Ich bin nie von einer Organisation entsandt oder gesponsert worden, sondern bewarb mich immer direkt an den Universitäten“, betont sie und, „ich habe gern etwas Neues gemacht, wenn''s mir jemand zutraute“.

Angesteckt mit dem Fernwehfieber hatten sie drei Kolleginnen, mit denen sie in den 60er Jahren in einem Kölner Forschungslabor arbeitete. Dort war Ruth Werner Technische Assistentin, gerade geschieden und sehnte sich nach dem größtmöglichsten Abstand von Köln. Nigeria war damals ganz weit weg und doch ging ihr das erste Weihnachten in den Tropen nahe, weil einige amerikanische Freunde extra für sie deutsche Weihnachtslieder sangen als sie am 24. Dezember mit dem Jeep durch den afrikanischen Busch fuhren. Vier Monate später war jedoch alles zu Ende, denn es kam zu politischen Unruhen und zur Schließung der Universität. „So erlebte ich gleich zu Anfang wie relativ alles sein kann.“

Sie bewarb sich erneut und bekam einen Zeitvertrag von der neugegründeten Universität Malawis. Das war eigentlich eine ehemalige Schule und weil das südafrikanische Malawi keine eigenen Akademiker hatte, kamen alle Dozenten aus anderen Ländern. Erst zwei Jahre zuvor war das Land unabhängig von Großbritannien geworden. Gemüseanbau war eines der Forschungsprojekte, an denen sie beteiligt war, ein weiteres sollte klären, warum einer der großen Seen im Land ungewöhnlich schnell austrocknete.

Als Leiterin des Labors bildete Ruth Werner auch junge Laboranten aus, allerdings waren die Bedingungen bescheiden, denn es gab kein fließendes Wasser sondern nur aus Schüsseln und nur wenige Mikroskope. Oft galt es da eigene Lösungen zu entwickeln, aber am schwierigsten war es mit Behörden. So gab es merkwürdige Regeln, die damals der Diktator Banda aufstellte und eine lautete: Autofahrer müssen sofort anhalten, wenn sich Bandas Konvoi nähert. Einmal bemerkte Ruth Werner den Konvoi erst in einer Kurve und hielt zu spät. „Kriminalfall gegen Präsident Banda“, stand auf der Vorladung, mit der sie zum Gerichtstermin zitiert wurde.

Die Strafe, die ihr drohte, war entweder sechs Monate harte Arbeit oder sofort des Landes verwiesen zu werden. Sie hatte Glück und wurde verurteilt, sieben malawische Pfund zu zahlen. Dem Richter begegnete sie einige Zeit später auf einer Party wieder und da fragte sie nach, warum das Vorkommnis als Kriminalfall verhandelte wurde. Der winkte nur ab und erklärte, es seien gerade nicht die richtigen Formulare verfügbar gewesen. Ein anderes Mal in Papua Neuguinea wurde ihr sogar von der Polizei geraten, nicht anzuhalten, falls sie mal mit dem Wagen ein umher laufendes Schwein angefahren habe. Denn Schweine, so erfuhr sie, sind wertvoller als Frauen und der Zorn des Besitzers könnte lebensgefährlich werden. Besser wäre es deshalb erst im nächsten Ort den Unfall bei der Polizei anzuzeigen.

Obwohl sich manches seltsam und fast bedrohlich anhörte, was Ruth Werner in den 29 Jahren ihres Aufenthaltes in Afrika, Australien, auf den Fiji-Inseln und Papua Neuguinea erlebte, sagt sie heute rückblickend: „Ich hatte niemals Angst in dieser Zeit“. Als sie 1993 in die Heimat zurück kehrte, erschien ihr die seltsam fremd.

Was für sie bisher nur Problemchen waren, wurde hier zur Katastrophe. Registriert hat sie auch, dass Gütern in der Überflussgesellschaft ein hoher Stellenwert zugemessen wird. Für Ruth Werner sind die Freunde in aller Welt das Wichtigste geblieben. „Nur leider sehen wir uns immer seltener“. Kirsten Graulich

Kirsten Graulich

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