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Potsdam-Mittelmark: Vom Geist des Ortes

In der Lendelschen Saftfabrik sollen sich Vergangenheit und Zukunft treffen

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Werder – Johanna Beyer spürt ihn heute noch – diesen starken aromatischen Duft. „Hier auf dem Hof stand oft alles voller Kisten mit Obst, das im Lendelschen Betrieb verarbeitet wurde“, erinnert sie sich. Bis 1993 hat sie auf dem historischen Anwesen mit Herrenhaus und Saftfabrik gelebt – sie kennt fast jeden Stein, kann zu fast allen Räumen eine Geschichte erzählen. Umso mehr schmerzten sie die vergangenen Jahre des Leerstandes. Jetzt gibt es wieder Hoffnung für das denkmalgeschützte und stadtbildprägende Ensemble auf Werders Insel. Harald Dieckmann, der neue Investor, will es zu einem Schaufenster für ländliche Produkte der Region mit Verkauf und Gastronomie gestalten (PNN berichteten).

Zugleich soll hier ein Ort für Kultur und lebendige Geschichte entstehen. Deshalb spielten am Dienstagnachmittag zur ersten öffentlichen Präsentation der Projektideen das Glindower Wandertheater Ton und Kirschen und das Magnus Mehl Jazz Quartett. Und genau deshalb war Johanna Beyer in den vergangenen Tagen eine gefragte Gesprächspartnerin, wenn es darum ging, den Geist des Ortes zu verstehen.

1928 war Johanna Beyers Mutter als Haushaltshilfe bei den Lendels in Stellung gegangen. In der Saftfabrik lernte sie ihren künftigen Mann kennen. 1935 wurde Johanna Beyer geboren, die Hochzeit der Eltern und ihre Taufe wurden von den Lendels ausgerichtet. „Frau Lendel war sehr kirchlich, sehr hilfsbereit, und wir gehörten faktisch zur Familie“, erzählt Johanna Beyer. 1889 hatten die Lendels am Werderaner Markt ihre Fabrik gegründet, zuvor war in den alten Gemäuern eine Brauerei. Alles was von Werders Plantagen kam, wurde hier zu Marmelade, Obst und Wein verarbeitet. Nach dem 2. Weltkrieg dann ein Befehl der sowjetischen Besatzungsmacht: Zeitweilig sollten nur noch Sauerkraut und Warenje – eine dicke Marmelade für den Tee - produziert werden. Doch die Nachfrage nach Obstwein blieb ungebrochen, und so wurde auf Werders Insel bald wieder an die alten Traditionen angeknüpft. Seit 1953 als Betrieb mit staatlicher Beteiligung – wurde bei Lendels unter anderem der hochwirksame Mehrfruchtwein der Marke „Domino“ produziert. Die alten Etiketten wurden nach der Wende bei Aufräumarbeiten in den Fabrikgemäuern gefunden.

„Über viele Jahre bis zu ihrem Tod im Jahr 1964 hat Frau Lendel auch mein Leben sehr geprägt“, sagt Johanna Beyer. In diesem Sinne möchte Investor Harald Dieckmann, dass sich in der Lendelschen Saftfabrik Vergangenheit und Zukunft treffen. Und deshalb mag er die alten Geschichten. So schenkte er Johanna Beyer und Bürgermeister Werner Große am Dienstag eine Flasche Weißwein der Sorte Müller-Thurgau vom Werderaner Wachtelberg, Jahrgang 1999 – damals noch mit Kronverschluss. Schmecken wird er wahrscheinlich nicht mehr, aber der Tropfen hat hohen Symbolwert. „1999 war die erste Weinlese, nachdem wir den Wachtelberg wieder aufgerebt hatten“, erzählt Große, und schon hat man einen gemeinsamen Nenner gefunden. Harald Dieckmann hat es in der Hand, ein Werderaner zu werden.

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