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Potsdam-Mittelmark: Von Ferch nach Bogotá

Seit 63 Jahren lebt Georg Meier in Kolumbien, jetzt besucht er sein Dorf am Schwielowsee

Von Eva Schmid

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Schwielowsee - Die Straßen waren Sandpisten, vor dem Elternhaus wuchsen die Kartoffeln, am Wochenende kamen mit dem Dampfer Berliner und Potsdamer ins Dorf. Das Bild von damals hat Georg Meier noch gut in Erinnerung. Heute sitzt er am Schwielowsee, schaut auf die vorbeischlendernden Touristen und erkennt vieles nicht mehr wieder: „Ferch ist nicht mehr das, was es früher mal war“, sagt Georg Meier. Seit 63 Jahren lebt der Mann mit den weißen Haaren in Kolumbien. Ein letztes Mal ist der 82-Jährige nun in sein Heimatdorf am Schwielowsee zurückgekehrt.

„Solche Ausflugsschiffe wie auf dem Schwielowsee sind in Kolumbien der reine Luxus.“ Auf Kolumbiens größtem Fluss, dem 1600 Kilometer langen Río Magdalena, müssten weite Entfernungen zurückgelegt werden. „Mit so schicken Dampfern kommt man dort nicht weit.“ Schiffe haben es Georg Meier angetan. Auf einem Auswandererschiff überquerte er als damals 18-Jähriger den Atlantik. Reiseziel: Südamerika. Er hatte zwei Koffer dabei und seinen drei Jahre älteren Bruder.

„Wir wollten damals nur raus aus dem kaputten Nachkriegsdeutschland und etwas von der Welt sehen.“ Als Georg Meier 1931 geboren wurde, ächzte Deutschland unter den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise. Seine Kindheit verbrachte er in einfachsten Verhältnissen auf dem Land. „Dampferausflüge gab es für uns nicht, die kosteten damals 1,10 Reichsmark.“

Nach all den Jahren des einfachen Landlebens ergab sich kurz nach dem Krieg für den jungen Fercher die große Möglichkeit: „Mein Bruder wurde kurz vor Ende des Krieges noch eingezogen und lernte in russischer Kriegsgefangenschaft einen Guatemalteken kennen.“ Der hatte die beiden Brüder eingeladen, ihn in Südamerika zu besuchen – die Überfahrt ging auf seine Kosten.

Spanisch, das habe er damals schnell gelernt. „In dem Alter ist man sehr flexibel“, sagt der Mann und lächelt verschmitzt. Kommt Meier ins Erzählen, dann hängt er an Satzenden gerne mal ein für Kolumbianer typisches „no“ an, obwohl er sonst akzentfrei spricht. Die spanische Sprache hat er sich in all den Jahren so sehr zu eigen gemacht, dass ihm manchmal aber deutsche Wörter nicht mehr einfallen würden.

Als 1951 das Schiff mit den Brüdern aus Genua in der venezuelanischen Hafenstadt La Guaira einlief, traute Georg Meier seinen Augen nicht. Alles war fremd, die Sonne brannte auf der Haut, auf dem Markt gab es unendlich viele tropische Früchte. Nach einem Besuch des Freundes gingen die Brüder auf Entdeckungstour in Südamerika. „Wir hatten damals unsere famose Motoradfahrerzeit.“ Sie fuhren in die zerklüfteten Gebirgszüge der Anden und in schwüle Dschungel.

Ein Rückfahrticket nach Deutschland hatte Georg Meier nicht. Und er wollte auch nicht mehr weg, nachdem er in einer Konstruktionsfirma Arbeit fand und sich in eine kolumbianische Frau verliebte. „Mamacita“, sagt er und reißt die Augen auf. In Kolumbien heißt das so viel wie schöne Frau. „Ich schrieb ihr drei Briefe, dann kam mein Heiratsantrag.“ Am Anfang war sie skeptisch. Einen Deutschen, der aufgrund seiner hellen Haare und Hautfarbe nur „el mono“ (wörtlich: der Affe) genannt wird, was für blond steht, heiraten? „Am Ende sagte sie Ja“, sagt Meier, noch heute erleichtert über ihre Entscheidung. Für seine Liebe zog Meier nach Bogotá. Ferch war nur noch Erinnerung. Heimweh? Das hatte er selten. „Meine Mutter durfte zweimal aus der DDR ausreisen und uns besuchen“, sagt der 82-Jährige. Sie sei damals sehr verwundert gewesen, was für ein Bild seine Freunde von der DDR hatten. In einem Bericht, den sie 1971 nach ihrer Reise verfasste, schrieb sie: „Viele wollten nicht glauben, dass Lebensmittel nicht mehr rationiert wurden und dass es auch bei uns viele Autos gibt. Ich bin erregt, weil ich mich so in Rage geredet habe.“ Als die Mutter wieder zurückkehrte, hatte sie nur noch Südamerika im Kopf, erzählt Georg Meiers jüngerer Bruder Bernd. Er ist im Gegensatz zu seinen älteren Geschwistern in Ferch geblieben. „Einer musste sich ja um das Haus kümmern“, sagt er.

Ein letztes Mal kommt jetzt auch der Bruder aus Kolumbien zu Besuch. Ein weiteres Wiedersehen werde es nicht geben, die Gesundheit mache es nicht mehr mit. Während der letzten sechs Jahrzehnte besuchte er Ferch sporadisch. „Mir fiel auf, dass es immer weniger Läden gab – früher gab es Fleischer, Bäcker und einen Gemischtwarenladen.“ Heute sei nichts mehr davon vorhanden, er ist ein Fremder in der eigenen Heimat. „Ich bin eher Kolumbianer als Deutscher“, sagt Meier. Doch ganz vergessen will er seine Wurzeln nicht: An seiner Wohnung in Bogotá prangt der Name Sanssouci.

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