KulTOUR: Von leise bis Urschrei
Süßkinds „Kontrabass“ in Werders Comédie Soleil
Stand:
Werder (Havel) - Theater ist eine dunkle Sache. Es lebt im und vom Tod, es kann Totes aufstehen lassen, was immer auch und je geschieht, es bleibt stets Gegenwart. Kein Shakespeare also kann und darf sein Präsens verleugnen, kein Wal-Gesang Vergangenheit beschwören, alles ist „Heute“! Das trifft auch auf den „Kontrabass“ zu, mithin die dritte Inszenierung der Werderaner Comédie Soleil seit seiner Eröffnung Anfang November.
Theaterchef Michael Klemm ist mit dem jetzigen Stand der Dinge recht zufrieden, das zentral liegendes Haus wird angenommen, weitere Fördermittel bleiben in Sicht, „bisher ist nicht eine Vorstellung ausgefallen“. Tatsächlich war auch die oft so gefürchtete zweite am Sonnabend recht passabel besucht.
An „Gegenwart“ lässt dieses von Patrick Süskind geschriebene und 1981 mit Nikolaus Paryla in München uraufgeführte Monologstück ja nun wirklich nichts zu wünschen übrig. Vor dick schallisolierten Wänden trifft der Zuschauer den Protagonisten in eher schäbiger Kulisse, alte Sessel, ein Tisch, Musikerbilder an den Wänden, überall Bierflaschen gegen den ständigen „Flüssigkeitsverlust“: Ein Kontrabassist gibt sich kurz vor seiner Vorstellung die Ehre, direkt mit seinem Publikum, hier im Parkett, zu plaudern. Klar, dass es dabei nur um dieses alles Leben prägende Rieseninstrument geht, welches kaum einen schönen Ton produzieren kann, Liebe nur verhindert und sogar noch beim Beischlaf stört.
Zeit dieses abendfüllenden Monologs: Gegenwart, was sonst! Ensemblemitglied Horst Wüst, bei „Was Ihr wollt“ recht willensstark in der Rolle des schwachen Junkers Bleichenwang zu sehen, spielt diesen morgenbemantelten Protagonisten in einer sehenswerten Partie. Anfangs schwingt Stolz zum Instrument mit, Frust hingegen wegen der höchst unpopulären Platzierung im Orchester. Nein, dieser so offenherzige Mann ist mit sich und der Welt nicht zufrieden, mit bekannten Komponisten nicht, nicht mit der Musik, selbst die soziale Sicherheit als beamteter Kontrabass gibt ihm keinen inneren Frieden: Es komme ja nicht mal drauf an, ob der Ärmste bei Wagner „besonders schön“ spielt, falsch, oder nur die Hälfte der Noten.
Klar, diese Figur hat Tiefe und Tragik der Tschechowschen Monologe, und viele davon erahnt und spielt Horst Wüst auch sehr gut, weil er seine Figur von Anfang an glaubhaft und dialogisch aufbaut. Die kluge Regie Alois von Hörsteins gibt dieser Tragikomödie in Realo-Stil einen guten Rhythmus von ganz leise bis zum krafterfüllten Urschrei. Hier geht’s natürlich um des alternden Protagonisten platonische Liebe zu einer jungen Sopranistin, die nichts davon weiß.
Er braucht Aufmerksamkeit, er will Liebe gegen Frust und Depression, wie jedermann heute. So ein Stück wird jeder nach seinem Gusto gestalten, auszuschöpfen ist es eh nicht. Sehr zu loben, wie Horst Wüst (es ginge noch viel direkter) immer wieder sein Publikum holt, wie er es versteht, die Spannung zu halten, doch ließe sich auch hier, Kleinigkeit, manche Pointe besser setzen.
Das Fassungsvermögen seines Magens sollten Ärzte bewundern, der Theaterbesucher indes diese gut gestaltete, gediegene Arbeit, die mit viel Humor auf- und angenommen wurde, Werders Publikum ist ja anders als das in Potsdam. Das Stück wird erst nächstes Jahr wieder im Spielplan erscheinen, man hat sich da ordentlich was vorgenommen, Uraufführungen, Spiel im ganzen Gebäude, und so weiter! Und mit der Komödie im Namen geht es nun auch bergauf, na wunderbar.
www.comediesoleil.com
Gerold Paul
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: