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Potsdam-Mittelmark: Von Liebe und Freundschaft Alte Kleinmachnower fanden junge Zuhörer
Kleinmachnow - Am Ende standen beiden die Tränen in den Augen. Der 14-jährigen Marlene und ihrem Gegenüber, einer weit über 80 Jahre alten Dame aus Kleinmachnow.
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Kleinmachnow - Am Ende standen beiden die Tränen in den Augen. Der 14-jährigen Marlene und ihrem Gegenüber, einer weit über 80 Jahre alten Dame aus Kleinmachnow. Sie hatte der Schülerin gerade ihr Leben ausgebreitet, von Liebe und Freundschaft erzählt, und von ihrem Mann. „Wir haben gefragt, was sie am meisten im Leben geprägt hat“, erzählt Marlene. Es war der schmerzliche Verlust des langjährigen Partners, der Tod ihres Gatten. „Es hat mich sehr berührt“, sagt Marlene.
Ein Schulprojekt in Kleinmachnow bringt Generationen zusammen: Am 21. Juni sind Jung und Alt am Rathausmarkt eingeladen, gemeinsam an einer langen Tafel unter Schirmherrschaft des Bürgermeisters zu speisen und Geschichten zum Thema „Freundschaft und Liebe im Wechsel der Zeiten“ auszutauschen. Bereits im Vorfeld haben Schüler der Maxim-Gorki-Gesamtschule, der Waldorfschule und der Internationalen Schule das Gespräch mit alten Kleinmachnowern im Seniorenheim Senvital gesucht. Aus ihren Treffen haben sie eigene Geschichten entwickelt. Sie wurden in einem Buch zusammengestellt. Es soll an diesem Tag beim gemeinsamen Spaghetti-Essen vorgestellt werden.
„Es war sehr emotional“, erzählt Gesamtschülerin Marlene von ihrem Treffen mit der ansonsten taffen Dame. Die habe im Seniorenheim vehement für das Projekt geworben. „Viele Ältere hatten Vorbehalte, sich mit uns zu treffen.“ Die Jugend würde Geschichten der Vergangenheit nicht hören wollen. „Doch, hat sie gesagt, und dabei auf den Tisch gehauen“, erzählt Marlene von der Begegnung mit der Dame. Ihr Gespräch kam schnell in Fahrt.
Die Alten hätten den Besuch genossen, sagt Lehrer Frank Nesemann. Der 49-Jährige hat das Projekt Lange Tafel initiiert, das in diesem Jahr zum vierten Mal im Ort stattfindet. „Ihr ganzes Leben hätte mit einem Mal wieder vor den alten Menschen gestanden“, berichtet Nesemann. Sicherlich hätten viele Scheu gehabt, über das Thema Liebe und Freundschaft zu reden – schnell hätten sie die aber abgelegt. „Auch die Schüler hat es angeregt über Liebe in heutigen Zeiten nachzudenken“, in Zeiten von Facebook und Co., von Schnelllebigkeit und Hektik.
Die 15-jährige Charlotte hat ihr Treffen mit einer 85-Jährigen sogar sehr nachdenklich gestimmt: „Wir sind noch so jung und denken, wir wissen alles über das Leben. Dabei sind wir noch ganz am Anfang“, sagt sie. Kein einziges Mal in ihrem Leben sei die alte Frau verliebt gewesen. Sie hatte nie einen Mann, keine Kinder und heute keine Familie mehr. „Sie war darüber aber nicht unglücklich“, sagt Waldorfschülerin Charlotte.
Das schulübergreifende Projekt habe verschiedene Aspekte, sagt Lehrer Nesemann: Zum einen sollen sich die Jugendlichen der drei Schulen näherkommen und zum anderen die Generationen. Um die Neunt- und Zehntklässler auf die rund eineinhalbstündigen Gespräche vorzubereiten, haben sie unter anderem den Fotografen Thomas Billhardt interviewt. Trotz Mauerbau und DDR-Regime durfte der damals weltweit Bilder schießen, musste dafür aber einen hohen Preis zahlen, erzählt Zehntklässlerin Ronja. Die Staatssicherheit der DDR hatte alles daran gesetzt, die Liebe zwischen ihm und seiner Frau zu beerdigen. Beide landeten mit unterschiedlichen Agenten im Bett, bis ihnen klar wurde, welches Spiel gespielt wurde, sagt Ronja.
Gesamtschülerin Shari ist auch Tage nach den Gesprächen beeindruckt, wie schnell sie die Älteren in ihr Leben gelassen hätten. Sie erzählten von Reisen und von der vergeblichen Suche nach neuen Freunden im Altersheim. Sie berichteten von Krieg und Elend, von Flucht und Vertreibung, von glücklichen Stunden, aber auch verratener Liebe.
Die Bruchstücke der Erzählungen haben die Schüler zu Kurzgeschichten verarbeitet. An der Langen Tafel werden sie vorgetragen. „Ich habe eine ziemliche Angst davor, wie die alte Dame reagieren wird“, sagt Marlene. Denn sie hat die tragische Liebesgeschichte umgeschrieben – zu einem besseren Ende. Tobias Reichelt
Das Spaghetti-Essen beginnt am 21. Juni um 13 Uhr auf dem Rathausmarkt.
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