
© Andreas Klaer
KulTOUR: „Voodoo Child“ im Gotteshaus
Bei „Rock’n Church“ gaben Axel Merseburger und seine Band Musik von Jimi Hendrix zum Besten
Stand:
Werder - Es war schon ein merkwürdiger Kontrast zwischen Jesus am Kreuz und den alten Hits aus den 60er- und 70er-Jahren – Steppenwolf, Tina Turner, Status Quo und viele andere –, die am Samstagabend aus dem Off höchst lautstark durch die Inselkirche von Werder dröhnten. Zwar betagt, doch nicht wirklich alt geworden, gaben sie das Vorprogramm zu einem großartigen Jimi-Hendrix-Revival mit Axel Merseburger und seiner Band. Die Heilig-Geist-Kirche war selbstverständlich proppenvoll, nicht nur Autonummern aus PM oder Berlin. Ziemlich gemischt war auch das Publikum, schon beim Warm-up gerieten die Weiß- und die Flaumbärtigen in Bewegung, es gab Füßewipper und rhythmische Kopfnicker, Biertrinker und Kaugummikauer, Stehende und Tanzende, Lautstarke und Selige, die entsprechend stiller wirkten, beim „Rock’n Church“ in Werder.
Von der Hochkanzel herab gab der Schauspieler Bernd E. Jäger van Boxen den Lebensbericht des hochbegnadeten Musikers Jimi Hendrix, der die Gitarre in der Musik als Soloinstrument in eine neue Dimension gebracht hatte. Und wie! „Hey Joe“, die Geschichte von einem, der erschossen werden soll, weil er mit dem Weib des anderen zuwege war, gab zwar dem Abend in den Inselkirche den Titel und dem Konzert den ersten Song, aber von Jimi Hendrix (1942-1970) war das nicht. Nach einer kurzen Einführung, darin man erfuhr, wie innig dieser Mann und Pazifist von einer Welt ohne Hass, Ungleichheit und Ausgrenzung träumte, gaben Sänger und Gitarrist Axel Merseburger, Bassist Mike Pönisch und Schlagzeuger Tobias Streubel schon mal „Voodoo Child“, das man nur einmal hören muss, um es nie mehr zu vergessen.
Hendrix’ Musik wirkt allein schon durch das Hören, doch noch mehr öffnet sie sich, wenn man seine Biografie und seine Lebensansichten kennt. Die Mutter hell mit schottischen Wurzeln, der Vater schwarz, die Pflegeeltern irokesisch, da kamen viele Einflüsse zusammen. Aber auch massive Identitätsprobleme, wie sich das in „Gipsy Eyes“ oder im Verhältnis zu Frauen („Foxy Lady“) ausdrückte. Weniger bekannt ist, dass der Linkshänder Hendrix Synästhetiker war, also einer, der Farbe und Töne zusammen wahrnehmen konnte. Deshalb fixierte er seine Songs auch nicht in Noten, sondern mit Farben. Vielleicht hängt damit auch sein stetig wachsender Drogenkonsum („Purple Haze“) zusammen, die Inspirationsquelle seiner Musik Nummer eins. Es ging dadurch ja steil bergab mit ihm, doch er tröstete sich, auch im Jenseits müsse es Musik geben.
Wie auch immer, Axel Merseburger und die Seinen spielten alles Hörenswerte volle Pulle herunter. Wurde Hendrix von einer Zeitschrift zum „besten E-Gitarristen aller Zeiten“ gekürt, ist es umso erstaunlicher, mit welcher Sicherheit und Eleganz Merseburger selbst die kompliziertesten Läufe und Akkordfolgen beherrschte. Eine ganz große Leistung, zuletzt mit stehenden Ovationen belohnt. Für Hendrix, so der Erzähler und Schauspieler Jäger, gab es bei seinen 100-Watt-Verstärkern nur zwei Einstellungen: ganz auf oder aus.
Dergestalt wollte er die Leute aus ihrem Lebensschlaf reißen, wovon seine Musik („All Along The Watchtower“) immer wieder erzählt. Und wollte selbst gar kein Rockstar sein, eher etwas Sanfteres, Leiseres. Ein Getriebener, Suchender. Mit jedem Song, so Hendrix, opfere er ein Stück seiner Seele. Vielleicht sind sie auch darum heute noch so aktuell und kraftvoll. Ein bärenstarkes, ein wundersames, ein ganz großes Konzert. Gerold Paul
Gerold Paul
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