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Potsdam-Mittelmark: Wäldchestag in der Wetterau

In seinem Debütroman beschrieb Andreas Maier Verletzungen, die ihm jetzt selbst wiederfahren sind / Lesung in Wilhelmshorst

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In seinem Debütroman beschrieb Andreas Maier Verletzungen, die ihm jetzt selbst wiederfahren sind / Lesung in Wilhelmshorst Michendorf · Wilhelmshorst - Das Wilhelmshorst nicht Potsdam ist, hat Lutz Seiler vom Huchel-Haus Anrufern mehrfach versichern müssen. Ob es tatsächlich der Andreas Maier sei, der lesen wolle, und ob er denn auch wirklich käme. Schließlich habe doch Maier das Potsdamer Stipendiat nicht angetreten. Doch Lutz Seiler ist schon viel länger mit Andreas Maier bekannt. Und, wie der Gast einwarf, sei auch die Einladung zu einer Lesung im Huchel-Haus lange vor dem Medienspektakel ausgesprochen worden. Am Mittwoch fanden sich viele Wilhelmshorster, einige Potsdamer und Berliner ein, um den 37-jährigen Maier als Schriftsteller kennen zu lernen, etwas das er vor und nach der Potsdamer Posse um das Literatenstipendium vor allem ist. Zur Zeit allerdings schreibe er nicht. Noch wüsste er nicht, was ein nächstes Thema sein könne, zu sehr auch habe ihn die ungewohnte Aufmerksamkeit für seine Person abgelenkt. Die Beschädigung, war zu spüren, geht tiefer, als der Spruch „Schloss oder Platte“ ahnen lässt. Moderator Hendrik Röder lenkte dann auch die Aufmerksamkeit auf die Bücher von Andreas Maier. Gleich das Debüt „Wäldchestag“ begeisterte im Jahr 2000 Kritiker und Leser. In der Sprache an Thomas Bernhard geschult, doch ohne dessen misanthropischen Zynismus, entwirft Maier das Psychogramm einer hessischen Kleinstadt. Der Tod des Einzelgänger Adomait ist den Bewohnern der Wetterau willkommener Anlass, über dessen Leben zu spekulieren. Den in Gang gesetzten Gerüchten kann der Tote nichts entgegensetzen und hätte es wohl auch nicht gewollt. Denn absichtlich habe er die Testamentseröffnung auf den Wäldchestag legen lassen, jenen Dienstag nach Pfingsten, der in der Wetterau traditionell das exzessivste Gemeinschaftsfest sei, so Maier erklärend. Da Adomait am Sonntagvormittag beerdigt wurde, bleiben den Nachfahren und Nachbarn drei Tage, in denen die sozialen Auswüchse der Gerüchte aufs Heftigste knospen und blühen können. Maier wählte den Konjunktiv für den Roman, den er als Bericht des einzigen Vertrauten des Verstorbenen anlegte. Der objektivierende Erzählstil lässt den Leser zunächst in beobachtender Distanz wähnen, doch bald funktioniert ein Sog. Die Gespräche der Erben, in ihrer sich steigernden Absurdität wiedergegebenen, lassen auch einige in Wilhelmshorst Zuhörenden aufstöhnen. Zu vertraut sind die Missverständnisse, zu bekannt die Hilflosigkeit, sich nicht erwehren zu können. Maier las engagiert, mit gestischen Überhöhungen, die gleichzeitig das Groteske wie das Alltägliche der beschriebenen Situationen unterstrichen. Nach dem Buch habe er eine besondere Sensibilität für Mechanismen von Gerüchten entwickelt, die er jetzt ja am eigenen Leib erfahren durfte. Beim Schreiben interessiere ihn vor allem die Schilderung von Zuständen, die sich durch Kommunikation ergäben. Das unterscheide ihn diametral von Thomas Bernhard, dessen Thema das Ausloten menschlicher Innenräumen sei. In der von Hendrik Röder erwähnten Dissertation habe er, Maier, versucht zu ergründen, was dieses Innen der Bernhardschen Geistesmenschen ausmache. Er habe gefunden, dass da nichts sei, da die Bernhardschen Figuren sich in erster Linie über Abgrenzungen definierten. Ihm hingegen gehe es um die Beobachtung von Außenwelt und dem darin befindlichen, mitunter brutalen Gesprächskosmos. Er brauche die Welt und ihre Gegenstände zum Schreiben und benötige das persönliche Involviertsein. Deshalb spielten all seine Romane an Orten, an denen er wohnte. Schade, dass Potsdam die Chance, diesen wortsensiblen und selbstreflexiven jungen Autor für vier Monate zu beherbergen, verspielt hat.

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