Von Tobias Reichelt: „Warum kann ich nicht auch fliegen?“
Rainer Mönig wirbt mit Vogelstimmenwanderungen für Vogelschutz auf Rieselfeldern bei Ruhlsdorf
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Teltow - Es ist still am Rande der Ruhlsdorfer Rieselfelder. Gebannt starren zehn Augenpaare über die sich im Wind wiegenden Gräser an der Teltower Stadtgrenze. Vereinzelt plattern ein paar Regentropfen auf die aufgespannten Schirme. Plötzlich reißt Rainer Mönig seinen Arm hoch: „Da ist er wieder“, sagt er und zeigt quer über das Feld: Gerade wagt sich ein kleiner Vogel aus seinem trockenen Versteck, fliegt über das Feld und zwitschert: „Krchrch-tütititi, Krchrch-tütititi.“ „Ein Hausrotschwanz“, antwortet Mönig. Das klinge, als würde sich ein Vogel übergeben, erklärt der Vogelexperte der verwunderten Gruppe, die sich am frühen Morgen aufgemacht hat, um die ornithologische Vielfalt vor ihrer Haustür auf einer Vogelstimmenwanderung zu erkunden.
Schon seit über zehn Jahren beschäftigt sich der promovierte Naturpädagoge mit der Ornithologie. Inzwischen lebt er davon, hat seine Hochschulstelle aufgegeben und arbeitet ehrenamtlich neben vielen anderen Ornithologen am ersten gesamtdeutschen Vogelkundekatalog.
Wie wird man Vogelkundler? Der Anfang ist harmlos, sagt Mönig: „Man sitzt auf der Terrasse, blickt in den Garten und sieht einen Vogel vorbeifliegen. Dann denkt man sich: Warum kann ich nicht auch fliegen?“ So beginne es bei den meisten. Inzwischen ist aus der Terasse ein Gebiet vom Stahnsdorfer Südwestkirchhof entlang des Teltowkanals bis zu den Rieselfeldern in Genshagen geworden, das Mönig ornithologisch erfasst.
Die Felder haben es ihm besonders angetan. Eng arbeitet er hier mit Frank Mohrmann, dem Naturschützer der Lokalen Agendabewegung, zusammen. Gemeinsam haben sie auf den Ruhlsdorfer Rieselfeldern – dort, wo die Stadt Berlin früher ihre Abwässer entsorgte – eine Vogelgalerie aufgebaut: Ein Rundgang durch die Felder, ausgeschildert, bebildert und mit vielen kleinen Vogelkästen an den Bäumen.
„Ti-ti-ti-ti-ti-ti-üüüüüüh“, gurgelt Mönig, „das ist die Goldammer“, erklärt er dann seinen Zuhörern, die sich in Regenjacken eingemummelt und mit Ferngläsern bewaffnet weit hinaus auf die Rieselfelder gewagt haben. „Das Wetter ist gut, zumindest zur Vogelbeobachtung“, motiviert Mönig seine Mitstreiter. Vorbei an Wachteln, kleinen Baumpiepern und auch Spatzen geht es weiter durch das nasse Gras, ein Meter neben der Gruppe wird ein Fasan aufgeschreckt.
Gewisse Standards müsse er bei seiner Arbeit schon einhalten, erzählt Mönig, der auch als Gutachter bestellt wird, wenn Bauherren investieren wollen: Eine Autobahn, eine Zugstrecke oder ein Einkaufszentrum auf der grünen Wiese. Dann setzt sich Mönig zu den Vögeln, lauscht, beobachtet und schreibt seine Expertise. Einen Bau verhindert hat er mit seiner Arbeit noch nicht. Aber ein Bewusstseinswandel habe eingesetzt, meint er. Dank des europäischen Naturschutzrechts müssen sich bauwütige Investoren absichern und Mönig für seine Arbeit bezahlen. Werden Lebensräume zerstört, dann müssen sie anderenorts ersatzweise wieder aufgebaut werden. So wie an den Rieselfeldern, wo inzwischen einige neue Bäume gepflanzt wurden, weil anderenorts die Sägen wüteten. Doch geschützt sind auch die Ruhlsdorfer Felder nicht, bemängelt Mönig.
Windräder könnten hier eines Tages die Vogelvielfalt – angefangen von der Grauammer, der Wachholderdrossel bis zur Nachtigall, den Rohrweihen, Dorngras- und Mönchgrasmücken – vertreiben. Um dafür zu sensibilisieren, führt Mönig Vogelliebhaber in seiner Freizeit über die Rieselfelder. Viel Zeit bleibt in diesem Jahr nicht mehr: Schon in wenigen Wochen werden die Vogelstimmen verstummen, wenn ihre Brut aufgezogen ist. Dann beginnt für ihn der „langweilige Teil“ seiner Arbeit: Er sitzt am Schreibtisch und wertet aus.
Erst im Februar könne er wieder raus – Vögel beobachten und systematisieren. Um über den Winter „fit“ zu bleiben hat sich der Ornithologe eine CD gekauft: „99 Vogelstimmen“. Damit trainiert er, sagt Mönig, während er an einem Kornfeld plötzlich stoppt. „Lili-li-lililililülü“, zwitschert es leise von der Seite. „Eine Feldlerche“, sagt Mönig und greift zum Fernglas. Früher hätten Bauern die Tiere zu Hunderten gefangen, um sie zu essen. So wie die Franzosen noch heute. In Deutschland ist das mittlerweile anders, sagt Mönig: „Eine Bratwurst mit Ketchup ist auch viel vogelverträglicher.“
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