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Potsdam-Mittelmark: „Was “mer kennt“ machen“

Schnurren, Anekdoten und Witze jüdischer Provenienz in der Beelitzer Posthalterei

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Schnurren, Anekdoten und Witze jüdischer Provenienz in der Beelitzer Posthalterei Von Gerold Paul Beelitz. Einst war Sturm auf dem Wasser, alle rannten und schrieen herum, außer einem alten Juden. Befragt, warum er so ruhig bliebe, antwortete der: Ja, ist es denn mein Schiff? Diese und viele ähnliche Schnurren, Anekdoten und Witze jüdischer Provenienz hörte am Freitag ein etwas kleiner Kreis als „Beelitzer Konzertabend“ der etwas anderen Art. Aus „technischen Gründen“ traf man sich nicht wie gewohnt im Tiedemann-Haus, der weitbekannten „Spargelperle“, sondern im Goethe-Saal der alten Posthalterei, welcher mit seinen Wandmalereien und der prächtigen Ausstattung wirklich sehenswert ist. Der Weimarer soll hier, man ist nicht ganz sicher, genächtigt haben. Ob er auch ein Freund des hintergründigen Witzes der Juden war, ist nicht sicher. Der bekannte Schauspieler Hilmar Baumann, Jahrgang 1939, ist es gewiss. Zusammen mit dem Klezmer-Musiker Heiko Lehmann gab er etwa 30 Zuhörern über 90 Minuten recht unterhaltsame Einblicke in die so ganz andere, oft verquere Denkart des verstreuten und doch auserwählten Volkes, die man getrost selbstironische „Alltagsbewältigung“ in allen Lebenslagen nennen könnte. Titel: „Was “mer kennt“ machen“. Baumann, langjähriges Mitglied am Berliner Maxim-Gorki-Theater, hat in den alten Volkswitz-Sammlungen geblättert, bei Scholem Alechem, Ephraim Kishon und anderen Bewahrern dieser alten, oft herrlich naiven Denkart  nachgeschaut, wodurch ein vermischtes Programm ganz unterschiedlichen  Anspruches entstand. Mal mit Schlafmütz“, mal in einen vornehmen Morgenmantel gehüllt, schnurrte der beliebte Akteur (Jahrgang 1939) seine unglaublichen Geschichten frei aus dem Gedächtnis oder vom Blatt, wobei sich bestätigte, was ein altes Lexikon einst festhielt: Dunkle Stimme, männliche Ausstrahlung mit Hang zur Komik, mehr vom Wort als vom Gestischen bestimmt. Man hörte Alltägliches aus dem Städtl genauso wie ganz ungewöhnliche Begebenheiten, etwa die wundersame Geschichte vom Kartoffelpudding, welcher durch seinen kalorischen und einschläfernden Gehalt verhinderte, dass Jebbe Fomanowski seine ehelichen Pflichten am Freitag erfüllte. Doch plötzlich wurde es in diesem  „Koggel“ genannten Gericht lebendig: Der Geist eines Rabbi war darin, welcher Gutes tun musste, damit er nicht in die Hölle käme. Er bedrohte den faulen Gatten, bis alles wieder seine Ordnung fand. Oder diese: Versehentlich wurde der arme Damenschneider Jonathan nahe Lublin an einem hohen Festtag aufgerufen, die Thora-Rolle zu tragen. Schriftgelehrte waren so empört wie die honorigen Juden. Es kam zum Wettstreit mit dem reichen Wucherer Säckele. Der einfältige Schneider versprach, übers Jahr der beste Schriftgelehrte weit und breit zu werden, wenn nicht, solle die Frau des Reichen einen Pelz mit zehn Fuchsschwänzen bekommen, gratis. Der Geldsack hielt dagegen: Sollte das geschehen, so werde er dem armen Tropf ein schönes Haus am Markt bauen, auch gratis. Wer gewann, ist klar, doch hörte man ganz nebenbei, wie das geschah: Nach dem Gesetz ist jeder männliche Jude verpflichtet, Thora und Midrasch zu studieren, selbst wenn seine Familie deshalb am Hungertuche nagt. Zum Ende schenkte der siegreiche Jonathan sein Haus den Armen der Stadt, eine lehrreiche Geschichte. Von Kishon hörte man die Mär vom „Tiefseeschwamm“ und Schnurren des Alltags: Wie er beim gemeinsamen Essen mit Freunden gebeten war, jeden Gang des Festmahls zu loben. Zuletzt hatte er genug und wagte Kritik: Es war, Pech, die einzige Speise, welche die Hausfrau selbst hergestellt hatte. Mit Klarinette, Saxophon und Okarina gab Heiko Lehmann das Seinige stimmungsvoll hinzu. Schön, mal wieder den „anderen“, so gemütlichen Veranstaltungsort der Beelitzer gesehen und die kleine Form im Kleinen so heiter durchfahren zu haben.

Gerold Paul

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